Neue Lust auf Urlaubsdias

■ High-Tech-Shows mit Musik und Drehbuch und zweifelhaftem Nutzen verdrängen den häuslichen Lichtbildervortrag Von Mathias Thurm

„Wollt ihr Euch nicht mal unsere Urlaubsdias anschauen?“ Eine der Einladungen, die schon viele Freundschaften auf eine harte Probe gestellt haben. Dennoch gibt es sie: die Lust auf Urlaubsdias. Immer mehr Leute setzen sich sogar freiwillig vor die aufgespannte Leinwand und lauschen den Ausführungen weitgereister Globetrotter. Und sie sind sogar bereit, dafür Geld zu bezahlen.

Bei Eintrittspreisen zwischen zehn und 15 Mark trifft sich in den Wintermonaten im Amerika-Haus in der Tesdorpstraße fast täglich eine anscheinend von Fernweh und Hamburger Nieselregen geplagte Fangemeinde, um sich gemeinsam Fotos anzuschauen. Nicht selten sind alle 370 Plätze im Saal besetzt. Branchenkenner schätzen die Zahl der in der Bundesrepublik auf eigene Faust und Rechnung umherreisenden Bild-Reporter mittlerweile auf über 100. Woher so plötzlich das große Interesse?

Auf den ersten Blick haben die Diaschauen nur wenig gemein mit den berüchtigten Veranstaltungen im heimischen Wohnzimmer. Mehrere Projektoren sind gleichzeitig im Einsatz. Die Leinwand hat Kinoformat, Bildfolge mitsamt Ton- und Musikeinblendungen wird durch Computerhilfe gesteuert, alles folgt einem genau festgelegten Drehbuch. Die technische Megamaschine allein sorgt allerdings noch nicht für volle Säle. Am Anfang steht die Werbung. Im Stadtbild unübersehbar preisen bunte Plakate zum Beispiel das „Abenteuer Orient“, die „Traumreise durch Australien“, einen „Fußmarsch durch die Steinzeit“ in Neu-Guinea oder „Island per Rad“. Aber nicht immer halten die bunten Bilder, was sie versprechen. Das gebotene Niveau ist sehr unterschiedlich.

Bernd Naumann aus Kiel zum Beispiel ist seit 14 Jahren im Geschäft und ganz Profi. Acht Projektoren werfen wie von Geisterhand gesteuert während der etwa einstündigen Show 600 Dias, untermalt mit Originaltönen und Musik an die Großbildleinwand. Kommentar und Erläuterungen spricht der Künstler live. Regie bis zum Outfit: In der Pause zwischen zwei Vorträgen muß Bernd Naumann das Hemd wechseln. Zur Australien-Schau gehören nicht nur die richtigen Diamagazine, sondern auch das T-Shirt mit der australischen Bierreklame. Die Informationen des Vortrages bieten touristisch interessierten Zuhörern einige nützliche Hinweise. Die Fotos, überwiegend Landschaftspanoramas, sind in der Mehrzahl sehenswert.

Das kann man von Günter Gollnicks und Gerlinde Sulings Australien-Dias nicht unbedingt behaupten. Informationsgehalt, Bildaufbau und Technik der Dias lassen zu wünschen übrig. Und wer meint, der Ayers Rock, jener feuerrote, wie ein übergroßer BigMac in der Landschaft liegende Berg, dürfe in keinem Diavortrag über Australien fehlen, von dem sollte mensch erwarten dürfen, daß das Motiv nicht von der Postkarte abgeknipst wird.

Nicht nur schöne Bilder liefern, sondern auch Problembewußtsein schaffen wollen Roland Marske und Petra Macpolowski aus Berlin. In ihrem Vortrag über das „Abenteuer Orient“ gelingt ihnen das auch über weite Strecken. Das Publikum erfährt einiges über politische Konflikte, soziale Probleme und die Rolle des Islam. Beherrschend auch hier: buntes Markttreiben, schöne Landschaften, malerische Sandverwehungen in der Sahara. Was jedoch nach 450 Dias und einer Reise von Marokko bis Syrien durch neun Länder an Eindrücken beim Betrachter hängenbleibt, ist fraglich.

Alle genannten Vortragskünstler sind fotografische Autodidakten und betreiben ihren Job nebenberuflich. Zwar liegen die Investitionskosten für Kamera- und Vorführtechnik zwischen 30.000 und 100.000 Mark, dennoch dürfte die Nebentätigkeit recht einträglich sein, zumal oft auch Sponsoren, wie zum Beispiel Globetrotterläden, ihren Teil zum wirtschaftlichen Erfolg beitragen. Was so viele Leute zu den Diafestivals zieht, obwohl sie in jedem Geo-Heft für das gleiche Geld in der Regel bessere Fotos zu sehen bekommen, ist der touristische Zugang zum Thema. Viele planen eine Reise und suchen praktische Tips. Nicht die tiefschürfende Reportage ist gefragt, sondern ein bunter Eindruck, der das Fernweh weckt. Also fast wie beim Lichtbildervortrag zu Hause. Nur etwas größer – und ohne kopfstehende Dias.