■ Soundcheck
: Michel Pertucciani / Velvet Crush

Gehört: Michel Pertucciani. In der Fabrik saßen und standen die Massen am Sonntag abend so dicht gedrängt, als wäre ihnen der leibhaftige Miles Davis mit einer Allstar-Band versprochen worden. Aber es spielte nur ein einziger Mann: der kleine Michel Pertrucciani, der als Pianist ganz groß herausgekommen ist. Die Gründe dafür sind bezwingend in den Ohren. Die Quelle dieser bedrückend schönen, aber auch beherzt zupackenden Klaviermusik auch optisch auszumachen gestaltete sich schon schwieriger.

Da, aus der Raubvogelperspek-tive, zwei Hände bei der Arbeit: Minutenlang zauberten sie in den mittleren Lagen, suchten und fanden die Perlen mit allen zehn Fingern auf engstem Raum. Und plötzlich schoß die Rechte über die Linke hinweg in die unteren Register, brachte das filigrane Ellington-Medley in einem bodenständigen Honky-Tonk-Motiv zur Strecke, um erneut durchzustarten. Die Klavierliteratur des Jazz schien sich für Petrucciani einmal mehr wie von selbst aufzublättern, und sein Repertoire war überdies mit eigenen Hochkarätern nur so gespickt. Ein exponierter Solist, der in seiner Augenblicksmusik aufgehen will, muß auch Beute machen. Wer genau hinhörte, dem ist es nicht entgangen: Dann und wann hat Petruccianis Flügel Federn lassen müssen.

Andreas Schäfler/Zeichnung: Martin Tom Dieck

Gehört: Velvet Crush. „Wir sind Velvet Crush, ich bin der Schlagzeuger Ric, und das da ist mein Schlagzeug“, murmelt ein offenbar verwirrter Mensch ins Mikrophon. Nach fast jedem Song schleppte er sich nach vorne und machte merkwürdige Ansagen. Um diese Einlagen herum entpuppten Velvet Crush sich als schmissige Liveband, aus allen Lebenslagen der Popmusik zitierend und stets schwankend zwischen bretternden Schlichtrockanleihen und abstrusen Melodiebögen. Natürlich, die Schule des britischen Creation-Labels ist überdeutlich, aber das macht ja nichts, wenn es eben – und das hat es zweifelsohne – allen Beteiligten durchweg Spaß bereitet. Und Drummer Mic macht es auch überhaupt nichts aus, als Hippie bezeichnet zu werden, wie es ihm „in Dänemark, ach nee, in Schweden“ widerfahren ist.

Benjamin v. Stuckrad-Barre