Rolli-Lampen als Bühnenlicht

■ Bei „Eisenhans“ spielen behinderte und nichtbehinderte Jugendliche Theater / Projekt pfeift auf Behindertenbonus Von Benjamin v. Stuckrad-Barre

Manon sitzt im Rollstuhl und schimpft vor sich hin: „Das mit dem Senator-Neumann-Preis ist ja alles schön und gut, aber das Rathaus ist ja nicht mal behindertengerecht, also mußte die Verleihung ins Bürgerhaus verlegt werden.“

Der Senator-Neumann-Preis wird in Hamburg alle vier Jahre verliehen, und zwar für besonders vorbildliche Projekte integrativer Arbeit. Aktueller Inhaber des Nachwuchspreises ist die Gruppe Eisenhans, ein Projekt des Thalia Treffpunktes und des Hamburger Spastikervereins, in dem behinderte und nichtbehinderte Jugendliche gemeinsam Theater spielen. Namensgeber der Truppe ist das Märchen „Der Eisenhans“. Die Aufführung dieses Märchens hat den LaienschauspielerInnen auch den Preis eingebracht. Regisseurin Astrid Eggers rief das Projekt im Januar 1993 ins Leben. Ihr Vorbild war ein Ensemble aus Basel. Am Anfang hielt sich die Zahl von Behinderten und Nichtbehinderten ungefähr die Waage, inzwischen sind es deutlich mehr Behinderte, „die nichtbehinderten Jugendlichen haben einfach zuviel vor“.

Astrid Eggers kommt es nicht in erster Linie auf perfektes Schauspiel an, im Vordergrund steht, daß verschiedene Welten bewußt aufeinanderprallen: „Es geht nicht um erlerntes Können, sondern um das selbstbewußte Darstellen des eigenen Charakters und das Wahrnehmen der Probleme des anderen. Dieser Arbeitsprozeß steht ganz klar im Vordergrund.“ Aber auch die Aufführung bedeutet den Jugendlichen enorm viel, vor allem ein Erfolg wie der „Eisenhans“ ist ein wichtiger Ansporn. Kathrin freut sich jede Woche wieder auf das Zusammensein mit gleichaltrigen Nichtbehinderten und fühlt sich durch das Theaterspielen persönlich aufgewertet, „Früher“, so sagt sie, „lebte ich zurückgezogen, jetzt bin ich offener geworden, ich trete auf, bin anerkannt“.

Die Probenarbeit der Gruppe, die zur Zeit an einem neuen Projekt arbeitet, ist zweigeteilt, nach den Gruppen- und Spielübungen wird improvisiert. Spielübungen wie die, bei der alle Bewegungen in Zeitlupe ausgeführt werden, gewinnen „im Rollstuhl eine eigene Qualität“, so Astrid Eggers. Im nächsten Moment laufen dann alle quer durch den Raum und begrüßen einander auf Anweisung. Mal „höflich“, mal „erfreut“. Ungezwungen ist der Umgang, die „Rollis“ sind völlig normal, Manon berichtet stolz: „Meine Rollstuhllampen benutzen wir immer zur Bühnenbeleuchtung.“ Auch der Heuerlift ist fester Bestandteil des Theaterspiels. Dient er normalerweise dazu, Menschen aus dem Rollstuhl zu hieven, wird er in den Stücken manchmal dazu eingesetzt, Mädchen, die nicht aus dem Bett aufstehen wollen, ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

Die derzeitige Improvisationsarbeit der Gruppe dreht sich um den Bereich Märchen, „obwohl“, so Astrid Eggers, „gerade den behinderten Jugendlichen Märchen eigentlich nicht so viel Spaß machen“. Manon findet, daß Märchen „eher was für Kinder sind“. Und auch Sandra hat gar keine Lust, sich Gedanken zu Rumpelstilzchen zu machen, sie findet das albern und möchte – wenn überhaupt – etwas sehr Ernstes daraus machen. Andernfalls findet sie das „zu babyhaft“. Doch Jonas relativiert den Vorwurf, indem er lakonisch in den Raum ruft: „Wir sind doch alle nur langgezogene Babies.“

Jede Woche wird drei Stunden geprobt. Neben einer Sensiblisierung füreinander lernen die Jugendlichen vor allem, Körper und Sprache besser einzusetzen. Denn eines ist Astrid Eggers stellvertretend für ihre Gruppe sehr wichtig: „Wir wollen nicht von einem Behindertenbonus profitieren, sondern es schaffen, den Zuschauern ehrliche Begeisterung zu entlocken.“