Kapitulation ist ausgeschlossen

■ Hermann Peter Piwitt feiert heute seinen 60. Geburtstag

Gegen Ende der 70er Jahre sahen Literaturkritiker noch cool aus. Fassbinder-Schnauz, weit geöffnete Hemden und Haare, die fettig über den Ohren hingen. In ihren Augen glomm pure Angriffslust. Solche Typen tauchen heute wieder im „Sabotage“-Video der Beastie Boys auf. Immerhin. Ansonsten sieht man sie nur noch, wenn man in alten Artikeln stöbert. Zum Beispiel, weil jemand Geburtstag hat, der schon damals herausragende Romane schrieb. Daran hat sich bei Hermann Peter Piwitt, der heute 60 Jahre alt wird, nichts geändert.

Die Kategorisierung zählt zu den gepflegten Usancen des Literaturbetriebes. Für Piwitt wurde stets der Stempel „linker Schriftsteller“ bereitgehalten. In einem Interview mit der Zeitschrift Konkret sagte er dazu: „Ich habe als Publizist, als Essayist, sozialistische Überzeugungen vertreten. Ein ,sozialistischer Dichter' dagegen ist ein Widerspruch in sich selbst; auch darauf habe ich immer bestanden, auf der Autonomie des Kunstwerks.“

Als Piwitt 1972 seinen ersten Roman „Rothschilds“ veröffentlicht, hat er sich bereits mit dem Prosaband „Herdenreiche Landschaften“ und dem Essay „Das Bein des Bergmanns Wu“ Geheimtipstatus erschrieben. Die Kritik nimmt sein Debüt zwiespältig auf. Zu schablonenhaft seien der Outcast Rott und dessen Freundin Rebecca im Frankfurt der 50er Jahre geraten, zu offensichtlich die steilen Karrieren der Immerobenauf-Schwimmer nachgezeichnet.

Piwitt nimmt sich eine Auszeit von sieben Jahren – ein Turnus, den er bis heute beibehalten hat – und veröffentlicht erst 1979 seinen zweiten Roman „Die Gärten im März“. Rezensions-Deutschland antwortet mit Standing ovations. Im Stern schrieb Paul Kersten damals: „Ein bis in jedes sinnliche Alltags- und Landschaftsdetail brillant geschriebener Roman, voller Authentizität und Atmosphäre. Ein Buch aber vor allem über die verlorengehende Freundschaft zwischen zwei Männern.“

Der eine ist der Ich-Erzähler und arbeitslose Drucker Rolf, der andere ist Ponto, der eines Tages verschwindet. Schreibend versucht der Protagonist das Entgleiten des Freundes zu verhindern, letztlich vergebens, wieder einer weg, der irgendwie nicht reinpaßte. „Tauwind, sagt Ponto, wenn ich mir überlege, wie lange ich dies Wort nicht mehr benutzt habe. Nicht, daß er ausgeblieben wäre wie Störche ausbleiben, aber der Wind, der uns als Kinder nachts weckte und uns um das Eis auf dem Teich und den Gräben bangen ließ – was ist damit passiert? Eine Turbulenz. Ein Allerwelts-Tief, eine Sendeminute nach der Tagesschau.“

Dieses sinnliche Erfahren zeichnet seine Bücher aus, der Blick für die Passionen; vielleicht auch deshalb die Hinwendung zum Süden, zu Italien. Dort spielt die Handlung des Romans „Der Granatapfel“, der 1986 erschien. Mit der Figur des Gianbattista Taumaturga, die an den Dichter, politischen Abenteurer und Genußmenschen Gabriele D'Annunzio angelehnt ist, hält sich Piwitt den Spiegel selbst vor. Unkokett, leicht und schwebend wird da parliert, gesponnen, gestrotzt – und vor allem gelebt. „Ich bin gerne oberflächlich“, meinte der Autor in einem Interview, „und hänge, wenn etwas zu tief gerät, immer lieber noch ein paar Nächte Todesangst dran, damit es schön flach wird, locker und duftig.“

Motivzusammenhänge setzen sich fort in „Die Passionsfrucht“ (1993). Wieder Italien, wieder D'Annunzio, für Piwitt der „erste Popstar der europäischen Geschichte“, wieder viel Eros. Wieder gut, ein saftiges Stück, aber die Kombination alternder Künstler mit junger Geliebten, Altersgeilheit statt Altersweisheit, läuft Gefahr, ins Trübe zu kippen.

Es ist etwas ruhig geworden um ihn. Die Kolumne in Konkret gibt es seit Herbst vergangenen Jahres nicht mehr. Zu den aktuellen politischen Entwicklungen schweigt er sich mittlerweile aus, es habe ihm vor Ekel die Sprache verschlagen, sagt er. Ein neues Buch soll aber in Arbeit sein. Kapitulation ist eh ausgeschlossen: „Ich mache weiter, weil ich ums Verrecken nicht anders kann.“Karsten Neumann