Der stille Lenz

■ Siegfried Lenz feiert 70. Geburtstag

Nachdem sich das Teilnehmerfeld derer, die nach 1945 antraten, die deutsche Nachkriegsliteratur zu schreiben, ziemlich gelichtet hat, halten die beiden Spitzenläufer mit ihren Führungs-Rangeleien nur noch wenige Zuschauer in Atem. Kaum hatte Günter G. mit Ein weites Feld, das die Kritiker in der Westkurve aufheulen ließ, den Abstand zum ärgsten Rivalen ausgebaut, da schiebt sich Martin W. mit Finks Kampf schon wieder vor.

Doch da, im Windschatten von G. und W., zieht seit Jahren einer ganz ruhig seine Bahnen. Woher nimmt der passionierte Pfeifenraucher in dem altmodisch wirkenden Trikot und dem strengen Seitenscheitel bloß die Kondition? Vielleicht ist dies sein Geheimnis: daß er sich nicht mit Enthüllungen aus der hessischen Staatskanzlei verausgabt, auf Attacken gegen die Kritik verzichtet, vielmehr still die Prügel für Die Klangprobe und Die Auflehnung ertrug und uns mit Einlagen als beleidigte Leberwurst verschont. Daß er öffentlich nur redet, wenn er sich bedanken muß wie zuletzt für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und die Ehrendoktorwürde der Ben Gurion Universität. Daß er lieber in seiner Othmarschener Bude sitzt, gemächlich seine Beobachtungen und Gedanken per Hand niederschreibt, und uns dann und wann ein neues Buch schenkt. Wie jetzt Ludmilla, einen Band mit sechs Erzählungen. In denen er schildert, wie ein Betriebsprüfer die Einkünfte eines Schriftstellers durchleuchtet oder wie ein Doktor der Geisteswissenschaften mangels einer Lektorenstelle als Vertreter für Lexika anheuert. Trends ignorierend, zeigt er norddeutsche Typen in alltäglichen Nöten, gönnt ihnen mal einen norwegischen Linien-Aquavit und rettet aus der Mode gekommene Wörter wie „Leibwäsche“ vor dem Vergessen.

Unserem Mann im Mittelfeld, dem wir zu seinem morgigen 70. Geburtstag herzlich gratulieren, wünschen wir alles Gute – vor allem Gesundheit. Auf daß er, der in Hamburg heimisch gewordene Ostpreuße und Marine-Deserteur, der freundliche Grübler, der Bescheidene, weiter seine Runden dreht, solange die Puste reicht.

Reinhard Helling