Ein anderer Roar am Millerntor

■ Bauarbeiter demonstrieren auf Großbaustelle gegen Lohndumping Fremdenfeindlichkeit nicht gewollt, aber doch existent Von Stefanie Winter

Transparente, Ratlosigkeit und blanke Wut haben rund 500 Hamburger Bauarbeiter gestern zum Millerntor getragen. Ohne offizielle Anmeldung, ohne Kundgebung kamen die Demonstranten aus. Statt nach dem Scheitern der Verhandlungen um Mindestlohnvereinbarungen mit dem Rücken zur Wand zu stehen, blockierten sie die Zufahrt der Großbaustelle am Millerntor, auf der nach Angaben der Gewerkschaft Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) 60 überwiegend polnische Arbeiter zu Billiglöhnen beschäftigt sind – und Stammarbeitnehmer im Januar diesen Jahres entlassen worden waren. „Billiglohn macht arbeitslos“, hielten sie Passanten, Autofahrern und der Presse auf Transparenten entgegen.

Fremdenfeindlichkeit, betonte ein Gewerkschaftsfunktionär, sei nicht gewollt. Deshalb werde man die Arbeiter mit Flugblättern in polnischer Sprache über die Situation ihrer hiesigen Kollegen informieren. Ein Hubschrauber, der während der Demonstration über der Baustelle zirkelte, sollte die Flugblätter abwerfen. Aus Gründen der Sicherheit – für Hubschrauber oder Autofahrer – wurde darauf verzichtet. Gewerkschaftsleute und Betriebsräte wollen die schriftlichen Infos in der kommenden Woche dann vom Boden aus verteilen.

Niemand also hatte die Billiglöhner vorab über Sinn, Zweck und Hubschraubereinsatz informiert. Und nach einem ersten kurzen Blick auf die heranströmenden Massen zogen sie sich in die Container zurück, die ihnen auch sonst als Schutz- und Wohnraum genügen müssen. Doch auch hier hörten sie die aus Plastikrohrstücken selbstgebastelten Tröten der Demonstranten, die Hupen der blockierten Betonmischfahrzeuge zu übertönen, laut genug. Nicht sehen konnten die Bauarbeiter drinnen: Die Rohrstücke waren schwarz, rot und gelb.

„Die kriegen gerade zehn Mark pro Stunde“, empörte sich ein Demonstrant. „Und wer zahlt mal unsere Renten? Die bestimmt nicht.“ Gleichen Lohn am gleichen Ort für gleiche Arbeit fordert die Gewerkschaft – und mehr: „Du kannst Dir vorstellen“, steht auf dem Flugblatt für die ausländischen Kollegen, „daß die betroffenen Kollegen nicht nur sauer auf ihren Unternehmer, sondern auch auf die Kollegen aus dem Ausland sind... Wir fordern Dich auf, gemeinsam mit den Kollegen der ansässigen Baubetriebe an diesen Aktionen mitzuwirken. Mit Deiner Solidarität werden wir verhindern, daß die Entwicklung der Fremdenfeindlichkeit auf die Bauarbeiter übergreift.“

Heute werden sich in Dortmund IG-BAU-Vertreter mit Gewerkschaftern unter anderem aus Polen, England und Dänemark zusammenfinden, erklärte Hans Schmid, Chef der IG Bau Nordmark, um ein gemeinsames Vorgehen auszuloten – auch während eines möglichen Arbeitskampfs. Denn daß die Schlichtungsverhandlung eine Mindestlohnregelung zu allseitiger Zufriedenheit bringen könnte – die Arbeitgeber beharren auf 15 Mark pro Stunde und eine lange Übergangsphase –, hält Schmid für „alles andere als wahrscheinlich“.