Der original Dreigroschenfilm

■ Im Kino 46: G.W. Pabsts „Dreigroschenoper“ von 1931

Wann hat man schon einmal die Gelegenheit, die Urversion eines Erfolgstücks mit der gerade inszenierten Neuaufführung zu vergleichen? Die Filmadaption der „Dreigroschenoper“ von Georg Wilhelm Pabst, die gerade drei Jahre nach der ersten Aufführung des Theaterstücks entstand, folgt zwar nicht genau dem Originaltext – ja Brecht und Weill klagten sogar (erfolglos) vor Gericht gegen die Freiheiten, die sich die drei Drehbuchautoren mit dem Stoff erlaubten. Aber die Hälfte der Besetzung wurde direkt vom Premieren-Ensemble des Theaterstücks übernommen und die wichtigsten Veränderungen basierten auf Vorschlägen von Brecht. Die Schlußpointe etwa, daß die Ganoven statt Banken zu überfallen selbst eine gründen, ist viel konsequenter und boshafter als Mackies Begnadigung unter dem Galgen durch einen „reitenden Boten des Königs“, mit der das Theaterstück endet.

Auch der Marsch der Bettler, durch den die Krönungszeremonie der Königin von England gestört wird, ist eine Veränderung, über die sich Brecht eigentlich hätte freuen müßen. Die Songzeile von „den Einen im Dunkeln und den Anderen im Licht“ bekommt dadurch ein ganz anderes Gewicht. Außerdem bekommt der Film so ein wirklich filmisches Finale, während man den meisten anderen Szenen genau anmerkt, daß sie ursprünglich für die Bühne geschrieben wurden. Das London auf der Leinwand besteht offensichtlich aus gemalten Bühnenkulissen, und zweimal erstarren die Schauspieler sogar am Ende einer Szene in ihren Bewegungen – genauso als würden sie auf den Vorhang zum Schluß des Aktes warten.

Der Spaß an dem phantastischen und bizarren London sowie die skurrilen Typen aus der Unterwelt wird durch keinerlei schnöden Realismus verdorben. Wir kennen dieses sehr deutsche England aus den gruselig-naiven Edgar-Wallace-Filmen, und so freut es besonders, daß Fritz Rasp, einer von den Stammganoven aus dieser Spielfilmserie, hier, sehr viel jünger, aber schon mit der gleichen, irren Raspelstimme, den Bettlerkönig Peachum spielt. Mackie Messer wird von Rudolf Forster sehr lässig und verführerisch als Gentleman-Gangster gespielt. Einer seiner Kumpanen spielt mit seiner Melone wie Chaplin, zwei andere gebärden sich wie Kopien von Laurel und Hardy.

Im Vergleich mit den großen Stummfilmerfolgen von Pabst wie „Die freudlose Gasse“ oder „Die Büchse der Pandora“ ist „Die Dreigroschenoper“ eher enttäuschend. Hier gibt es keine Asta Nielsen oder Louise Brooks, die den Regisseur zu Bilderräuschen inspirieren, sondern einen Bühnenhit, der, handwerklich solide inszeniert, auch an der Kinokasse gutes Geld bringen sollte. Aber als Dokument ist „Die Dreigroschenoper“ einmalig. Lotte Lenya, Carola Neher und Ernst Busch singen die Lieder so frisch wie sie klangen, als sie noch keine „zeitlosen Köstlichkeiten unseres Kulturguts“ (so in einer Kritik aus dem letzten Jahr) waren. Heute kann man „Und der Haifisch, der hat Zähne“ nur noch zitieren. Damals war es der Gassenhauer der Saison.

Wilfried Hippen

Kino 46 Mo., Mi., Do. 20.30. Uhr