piwik no script img

SanssouciNachschlag

■ Frühlingserwachen? Helge Musials „März“ in der Tanzfabrik

Früher gab es Frühlingsfeste im März. Die hießen zum Beispiel „Lätare“ (lat.: „Freue dich!“) und dienten dazu, lärmend und oft mit viel Alkohol den Winter zu vertreiben. Heute ist im März kein einziger Feiertag, und die Sonne müßte längst viel wärmer scheinen, als sie es derzeit tut.

Daß dieser März wenig Anlaß zur Freude gibt, scheint auch der Choreograph Helge Musial zu finden, der – nach „November“ im letzten Jahr – nun ein Stück mit dem Titel „März“ herausgebracht hat. Die ersten zarten Frühlingsregungen, so Musials Phantasie, sind eine verdammt schmerzhafte Angelegenheit. Zu Beginn der Vorstellung robbt, per Video auf den Bühnenvorhang projeziert, durch einen klaustrophobische Ängste hervorrufenden Tunnel ein nackter Mensch, als wäre er eine Made. Diese Assoziation wird man auch dann nicht los, als Lisa Schmidt auf der Tanzfläche erscheint. Denn an ihr wirkt alles so ausgebleicht wie ihr weißes Haar: Ein Wesen, das keine Sonne und also keine Farbe kennt. Obwohl Schmidt die Bühne in einer Diagonalen durchmißt, ist ihr Tanz nicht raumgreifend. Mit Dehnungen und Schwingungen, mit verschraubten Drehungen der Arme und Beine, des Beckens und des Rumpfes markiert sie einen streng abgezirkelten Bewegungsradius des Körpers. Ein Ausprobieren und Versichern der eigenen Möglichkeiten, weit entfernt von jedem fröhlichen Frühlingserwachen. Autistisch wirken diese Verschraubungen, beunruhigend und bedrohlich.

Im Gegensatz zu Musials pathetischem Solostück „November“ ist Schmidts Tanz abstrakt, und auch wenn die Tänzerin sich (zumindest an diesem Abend) nicht auf der Höhe ihrer Möglichkeiten befand, schaute man wach und interessiert zu. Doch dann öffnet sich der Schnürboden, rot angeleuchtete Sandstrahlen rieseln herab (Sonnenstrahlen?), in denen sich Lisa Schmidt ohne Ende wälzen muß. Und schließlich erscheint Helge Musial selbst: Laut tost es aus den Boxen – Wagners „Götterdämmerung“ läßt grüßen –, und der Choreograph hangelt sich vom Schnürboden herab. Lächerlicher kann man seinen eigenen Auftritt schwerlich gestalten. Schade eigentlich, denn die Szene ist gut choreographiert, und mit etwas dezenterer Musik könnte sie durchaus einige Wirkung entfalten. Auch in der Folge schlägt Musials Hang zum Pathos voll durch. Der Choreograph zeigt, wie gut er tanzen kann, und Lisa Schmidt, deren Bewegungsqualitäten anders gelagert sind, stolpert unentwegt. Nach „März“ zeigt Musial sein wiederaufgenommenes Solo „November“. Michaela Schlagenwerth

Bis 31. 3., Fr–So, 20.30 Uhr, Tanzfabrik, Möckernstraße 68.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen