Wand und Boden
: Im Primelspace

■ Kunst in Berlin jetzt: Hirsig, Reski, Menchero, Markowitsch, Maltzahn

Sonderlich schick sind die Galeries Lafayette nicht, aber der Lage angemessen. Links und rechts stehen Immobilien leer, auf der anderen Straßenseite stemmt sich das klobige S-Klasse-Ensemble von Daimler-Benz der lichten Nouvelschen Shopping-Architektur wie ein Bremsklotz entgegen. „Es wäre uns mehr gedient, und wir wären besser beraten mit einem einzigen Werk, das nicht mit einer solchen Perfektion ausgeführt, aber von jenem Funken beseelt wäre, der plötzlich aufsprüht, sobald unsere Sensibilität die Verbindung zum Leben spürt...“, beschreibt der Situationist Asger Jorn seine Künstler-Utopie von Architektur. Mit Stefan Hirsigs großformatigen Bildserien verhält es sich ähnlich: Aus einer Idee sprießen Hochhaustürme, Straßenpuzzles und Stadtlandschaften. Dicht drängen sich auf „Moloko Plus“ orange Spots, graublau zerklüftete Spachtelflächen und scharfe Farbkanten, deren Adernetz, aus einigem Abstand betrachtet, zu schweben scheint. Die Trennschärfe zwischen Raum und Bewegung verschwindet, auf „As we walked along the flatblock Marina“ erstreckt sich das 250x 200cm weite Feld von streng in Reihe getupften Niele-Toroni- Quadraten bis zum gestisch weißgetünchten Himmel.

Andere Bauten sind sorgsam verwinkelt, rot in gelb überlagert oder andeutungsweise hingewischt. Was wie bildgewordene Jungle-Tracks nervös und statisch zugleich daherkommt, bezieht sich auf ein älteres Hipnessmodell, als Erinnerung an „Clockwork Orange“. So sollen die Bilder auch darstellen, wie ein vergangener Zukunftsentwurf sich unter der Patina des Zeitgemäßen verformt.

„Other Voices, Other Rooms“, Di.–Fr. 12–18, Sa. 11–15 Uhr, Contemporary Fine Arts, Tauroggener Straße 15

Der spanische Künstler Emilio Lopez-Menchero beschäftigt sich mit den Eingriffsmöglichkeiten im öffentlichen Raum. Für Brüssel hatte er Transparente über die Straße gespannt, auf denen Fragen zum urbanen Alltag gestellt wurden, die Kunst nicht beantworten kann, obwohl sie selbst durch diese Fragen existiert – ganz im Sinne von Broodthaers Pfeife. Auch die Installation „Pas Perdu“ im Foyer des Podewil arbeitet mit dem Ort und entzieht sich gleichzeitig.

Am Boden liegen zwei überdimensionale und wie Einlegesohlen zugeschnittene Stücke Sisalteppich, wie man ihn sonst in Konferenzsälen findet, daneben wiederholt ein Modell die Maße des Raumes. Über das Konzept erfährt man nur, daß es sich auf eine französische Redewendung bezieht: „Les salles des pas perdus“, die „Säle der verlorenen Schritte“ steht für den tristen Eindruck anonymer Durchgangshallen. Als Besucher läßt einen die skulpturale Spielerei ratlos zurück: Was sollte verloren sein, wo man selbst doch gerade anwesend ist? „Warum liegt das da?“ fragt ein Kind durchaus neugierig seinen Vater, der muffig entgegnet: „Weil es Kunst ist.“ „Tolle Kunst!“ murmelt der Steppke, dann wird er weitergezogen.

Bis 19. 4., Mo.–Fr. 10–22 Uhr, Klosterstraße 68-70

Die Fotografien von Rémy Markowitsch sind banal. Doch hinter den Tulpen, Begonien und Kakteen tun sich Abgründe der Reproduktion auf, wie Urs Stahel über den 1957 geborenen Schweizer schreibt: „Seine mechanistische Kopie einer mechanistisch gedruckten Kopie einer mechanistisch fotografierten Kopie irgendwelcher Realität nimmt selbst monströse Bildrealität an, sieht schließlich aus wie ein digital erzeugtes Pflanzenarrangement.“ Man soll also Primeln aus dem Cyberspace sehen, wo letztlich bloß mit der Fotoentwicklung gespielt wurde. Wenigstens entspricht diese Aufschneiderei dem schlechten Ruf, den Computerkunst ohnehin genießt.

Angeblich hängen auch die grob auf Papierbahnen gemalten Bilder von Gunter Reski mit dem Netz zusammen. Man kann sich durch die gestapelten Sujets vortasten – „je nach gewünschter Funktion läßt sich in das Menü tiefer einsteigen“. Zieht man die Computer-Metaphorik ab, bleiben flache Bilder. Reski nimmt skurrile Perspektiven und scheitert daran, daß diese Drehungen und Stellungen keine Dynamik entwickeln. Bahn für Bahn wirkt das Ganze arg konstruiert, dann steht man vor einem Zungenkuß, der aus dem Rachenraum gezeichnet wurde, und sieht nichts als rote Zapfen, die eher einem MTV- Logo gleichen. Bei der mit einem Baum gekreuzten Figur erkennt man das humoristische Interesse, ansonsten ist „Tapete ohne Wand“ antiakademisch und erstaunlich mißmutig.

Konkreter hat sich Katrin von Maltzahn mit der Koppelung von Kunst und Computer beschäftigt. Dabei ist sie wieder am Anfang angelangt: Wie läßt sich eine Sprache in eine andere übersetzen? „Something nice to hang“ besteht aus 6 Serien mit insgesamt 24 raumfüllenden Siebdrucken, die von Schritt zu Schritt die verschiedenen Text- und Bildebenen eines English- Lesson-Buchs auflösen. Zuerst hat Maltzahn nur Fotomaterial gesammelt, dann die piktographischen Elemente, nach denen das Handbuch in Lektion, Übungsteil und Vokabeln gegliedert ist. Schließlich kommen zusammenhängende Übungen: „curly“ zeigt Brigitte Bardot mit einer Lockenperücke. So einfach wird man in der Schule von allen Seiten codiert. Dann verläßt die 1964 geborene Künstlerin die harsche Deduktionslogik ihres früheren DDR-Schulbuchs und arbeitet Unschärfen heraus. Eine gelbe Tankstelle scheint großflächig hervor und erinnert im gleichen Moment an auslaufendes Öl. Der NVA-Soldat in Rot bleibt dem Sozialismus verhaftet, ein blauer Ast ist ein blauer Ast etc. Das System wechselt von Erklärung zu Gestaltung, ohne daß die Motive sich ändern. Das Konzept zielt auf Uneigentlichkeit, Puristen in Sachen Art&Language wird es nicht gefallen.

Bis 17. 3., Sa./So. 14–19 Uhr, Künstlerhaus Bethanien, Mariannenplatz 2 Harald Fricke