Vergaloppiert

■ Unmotivierte Hektik, statt einleuchtender Tätersuche: Der Polizeiruf 110 "Pferdemörder" kommt nicht aus den Hufen

1969 hob die ARD eine neuartige Krimiserie in ihr Programm: Der „Tatort“ gehört seit jeher zu den Juwelen im Programmkollier der ARD. Pikanterweise hieß die erste Folge „Taxi nach Leipzig“, denn schon damals schauten die meisten DDR-Bewohner am liebsten in den Westen rein. Die ARD- Reihe gehörte alsbald auch „drüben“ zu jenen Sendungen, für die man die Erzeugnisse des Deutschen Fernsehfunks gerne links liegen ließ.

Etwa zur gleichen Zeit gab es im Zentralkomitee der SED Diskussionen, das DFF-Programm aus tiefer Verschnarchtheit zu erwecken. Das Ergebnis hieß schließlich „Polizeiruf 110“. Die erste Folge lief am 27. Juni 1971. Anderntags sprach man in den Betrieben und HO-Läden zwischen Greifswald und Greiz über diese ungewohnte Art, im eigenen Haus Mißstände zu zeigen – mit den Mitteln des Krimis.

Der „Polizeiruf 110“ war damals eines der wenigen DFF-Formate, die sich von der Schönwetter- und Heile-Welt-Propaganda der DDR-Medien und -Apparate nicht beeindrucken ließen, sondern die Wirklichkeit so zeigten, wie sie ist: Menschen, die morden, Frauen, die ihre Kinder vernachlässigen, Männer, die saufen und stehlen, Kinder, die böse rivalisieren – Verstrickungen noch und noch. Eine Serie, die oft wohltuend eine böse Tat nicht aus etwas imaginär Bösem im Menschen heraus destillierte und ohne den Zeigefinger des sozialistischen Mustermenschens auskam. 153 Folgen hat der DFF bis kurz nach der Wende produziert. Gelegentlich werden sie in den Dritten Programmen wiederholt. Man sieht dann oft sehr ruhige, sehr in langen Bildfolgen erzählende, sorgfältig gedrehte Filme, die in der Tat schon bei ihrer Erstausstrahlung mehr über die DDR zu berichten wußten, als das Neue Deutschland und die Frankfurter Allgemeine Zeitung sich damals träumen ließen.

An diese Tradition der Milieustudie um einen kriminellen Konflikt herum sollte angeknüpft werden, als am 13. Juni 1993 der MDR den ersten „Polizeiruf 110“ im ARD-Verbund sendete. Es gelang schon damals (abgesehen vielleicht von „Totes Gleis“) nicht. Zu groß schien der Druck, nächtliche Verfolgungsjagden abzuliefern, in der Angst, die Zuschauer würden nicht genug Geduld aufbringen und zu einem actionreicheren Programm eines Privatsenders umschalten.

Mit einem neuen Hauptkommissar unternimmt der MDR jetzt einen weiteren Versuch, neben dem „Tatort“ und dem „Sonderdezernat K1“ wahrgenommen zu werden: Jaecki Schwarz, in der DDR populär, spielt ihn hervorragend. „Der Pferdemörder“ ist im Harzer Vorland Sachsen-Anhalts angesiedelt. Es geht um einen Pferdehof, um nächtlich auf der Weide abgeschlachtete Reitpferde, um Kredite, Zinsen, Eifersucht und derlei Dinge mehr, die es offenbar alle zusammen braucht, um ja nichts falsch zu machen.

Spannung entsteht so nicht. Vielleicht kommt es auch daher, daß die Dialoge hölzern wirken, statt daß sie sich aus der bewegungsarmen Handlung heraus entwickeln. Richtig einsichtig wird es nicht, warum der Mörder am Ende der Mörder ist. „Das Ergebnis der Ermittlungen auf dem Löfflerhof erschüttert die Dorfbewohner“, heißt es in der Pressemitteilung des MDR. Allein, man sieht diese Leute nicht – denn aus Kostengründen wurde auf eine größere Komparserie verzichtet. Regisseur Matti Geschonneck hätte ebensogut alle in Frage kommenden Täter in einem Zimmer versammeln können – wie beim guten, alten Derrick – und durch den Kommissar ins Verhör nehmen lassen.

Als Entschuldigung für den so aber nur hektischen Erzählfluß wird beim MDR angeführt, auch den legendären Tatort von Wolfgang Petersen „Reifezeugnis“ hätte heute niemand so fertigen dürfen, weil die Zuschauer gleich den Fall serviert bekommen möchten. Das überzeugt nicht, erzielt doch gerade diese Geschichte bei Wiederholungen (in den Dritten) immer ansehenliche Quoten, die sich mit Nostalgie allein nicht erklären lassen. Jan Feddersen