■ Vorlauf
: Gnadenlos gut

„Kinder ohne Gnade“, Sonntag, 20 Uhr, Sat.1

Allen reformpädagogischen Ansätzen zum Trotz, auch nach 68 hat es in allen Schulklassen der Welt Jungs und Mädchen gegeben, die vor allem eine Rolle zu spielen hatten – die der Getretenen. Meist sind es Schüler, die später zum Dauerlächeln neigen, sobald ihnen Aggression droht. Wenn sie „Glück“ haben, treffen sie im späteren Leben auf andere, die sie triezen können, die sie entschädigen für das Leid und die Tritte, die sie mal selbst getroffen haben.

Solche Trainingsjahre in Sachen Macht & Herrschaft gibt es in allen Schichten. Wahrgenommen werden sie jedoch meist nur, wo die sogenannten sozialen Brennpunkte sind, also dort, wo Armut herrscht.

Claudia Prietzel hat nach einem Buch von Detlef Michel einen Film über diese brutalen Jahre an einer Gesamtschule gemacht. „Kinder ohne Gnade“ heißt er und trägt diesen Titel zu Recht. Im Mittelpunkt steht Dennis (Fabian Busch), den es aus einer Kleinstadt nach Berlin verschlägt, weil seine Mutter nicht in der Provinz versauern wollte. In manchmal spektakulären, aber nie sensationellen Bildern sehen wir, wie sich der freundliche, geigespielende Schüler seinen abgefuckten Peinigern immer mehr angleicht. Er gibt die Violine auf und macht mit beim kleinen und größeren Terror rund um den Schulhof.

Die Regisseurin hat die Gewaltszenen sehr kalkuliert eingebaut, sie scheute sich nicht zu zeigen, was sich zuträgt, wenn Schüler sich in ein Leben einüben, das sie nicht anders kennen, als hart und ungerecht. So wird am Ende aus dem Stück ein Horrorfilm, wobei der Grusel nicht durch die Action entsteht, sondern durch das Wiedererkennen, das uns wohl immer erfaßt, wenn wir sehen, wie sich Schüler gegenseitig psychisch und physisch zurichten wie Zuhälter es nur mit ihren Kampfhunden tun würden. Dieser kühle und deshalb bewegende Film hat einen Preis verdient, ebenso wie die Schauspieler. Vor allem aber der Bandenchef in der Person des Marek Harloff. (Er war im „Schattenmann“ Mario Adorfs Sohn.) So lebensnah, so hart und verletzlich agiert er hier, wie das vielleicht nur geht, wenn einer die Pein kennenlernte, die er darstellen soll.JaF