In Jerusalem bleiben die Busse leer

Tausende zusätzliche Polizisten und Soldaten sollen der Bevölkerung im Westteil der Stadt ein Gefühl von Sicherheit geben. Im arabischen Osten führen sie akribische Kontrollen durch  ■ Aus Jerusalem Georg Baltissen

Eine unbewachte Bushaltestelle ist in diesen Tagen in Jerusalem die absolute Ausnahme. In der Jaffa- Road, von der aus die Linien 18 und 19 ins Zentrum von West-Jerusalem und dann weiter in die südlichen Vororte fahren, steigen dennoch drei Fahrgäste ein, ohne kontrolliert zu werden. Im Bus der Linie 19 sitzen an diesem frühen Nachmittag gerade einmal fünf Personen, darunter ein junges Touristenpärchen aus Deutschland. Eine israelische Polizistin und ein Polizist kommen an der nächsten Haltestelle hinzu, zusammen mit vier weiteren Passagieren. Die Polizisten nehmen im vorderen Teil des Busses Platz, wo auch Klaus H. und Helga F. sitzen. Die beiden machen Urlaub im Heiligen Land. „Nein, wir haben keine Angst. Wir fühlen uns sicher. Es gibt ja jetzt überall Polizei und Militär“, sagt die 21jährige Helga. Ein Araber ist nicht im Bus.

Seit dem Bombenanschlag auf die Buslinie 18 am 3. März, der bislang 19 Todesopfer gefordert hat, sind zusätzlich rund 1.000 Polizisten und Soldaten in Jerusalem im Einsatz. Eingepackt in dick wattierte Overalls stehen sie an den Bushaltestellen der Stadt. Doch das Gefühl von Sicherheit, das sie verbreiten sollen, ist bei den Jerusalemern nur bedingt angekommen. Kaum jemand fährt Bus. Jeden Morgen zieht ein Schwarm von Taxis durch die Stadt. Die Wartezeiten für diese begehrten Gefährte betragen nach Angaben der Taxizentrale in den Morgenstunden mindestens eine halbe Stunde.

Tausende Berufstätige kommen zu spät zur Arbeit

Der Bus der Linie 18, der am Sonntag vor einer Woche an einer Kreuzung in der Nähe des Generali-Gebäudes, benannt nach einer italienischen Firma, von einem Hamas- Attentäter in die Luft gesprengt wurde, ist jeden Morgen von Journalisten belagert. Passagiere sind dagegen rar. Niemand hat bislang mehr als acht wirkliche Fahrgäste im Bus gezählt. Und mit dem Bus fahren sie nur, weil keiner von ihnen ein Auto besitzt oder sich ein Taxi leisten kann.

Einer der Arbeiter, der seit Jahren mit diesem Bus unterwegs ist, sagt: „Normalerweise wäre es so voll, daß du nicht einmal atmen könntest.“ Und sein Kollege erzählt, daß er am Tag des Anschlags nur zwei Haltestellen früher ausgestiegen sei. Ein Zufall, der ihm das Leben rettete.

Der volkswirtschaftliche Verlust ist noch nicht beziffert. Tausende von Berufstätigen kommen zu spät zur Arbeit, weil sie auf ein Taxi warten müssen. Die Unternehmer können nichts tun, als zu fluchen.

Aus Solidarität mit der israelischen Bevölkerung und aus Anteilnahme für die Opfer der Anschläge fahren 25 Italiener auf die Minute genau eine Woche nach dem Anschlag mit dem Bus der Linie 18. Sie steigen an der Kreuzung in den Bus ein, wo die Bombe explodiert ist, und verlassen das Fahrzeug dort, wo das erste Attentat in Jerusalem stattgefunden hat: in der Jaffa-Road. Die Reise ist zwar von der Italienisch-Israelischen Freundschaftsgesellschaft organisiert und teilweise finanziert. Doch einige der Italiener sind auch auf eigene Kosten hier.

Die Tatorte sind jüdische Begräbnis- und Gedenkstätten. Steine jedweder Art sind übereinander getürmt. Daneben brennen Kerzenlichter. Tagsüber beten Menschen in Trauer und Fassungslosigkeit an den Orten des Grauens. Jerusalem ist erschüttert. Und das Gefühl der Panik und Angst reicht tief. Das Radio sendet patriotische Lieder, wie „Das ganze Land ist eine Armee“. Eine Erinnerung daran, als die Kibbuzniks als bewaffnete Bauern auf die Felder zogen, um das von ihnen eroberte Land zu verteidigen.

Im Zentrum West-Jerusalems an der Ben-Yehuda-Straße, wird wieder einmal eine Blitzumfrage durchgeführt. „Wen wünschen Sie sich als Ministerpräsidenten, Schimon Peres oder Bibi Natanyahu?“ Die ausgefüllten Zettel landen in einem bunten Karton. Der junge Mann im blau-weißen T-Shirt hat Mühe, die Jerusalemer zu einer Antwort zu bewegen. Die 24jährige Helen W. Hat sich noch nicht entschieden: „Ich habe ja noch Zeit bis zum 29. Mai. Irgendwie tendiere ich mehr zu Peres.“

Obwohl noch keine Plakate geklebt sind, ist der Wahlkampf bereits in vollem Gange. Und gegenwärtig hat er nur ein Thema: Die Bekämpfung des Terrorismus und die Sicherheit der Bürger in Israel. Die Regierung Peres wird ihren bisherigen Vorsprung nach den letzten Umfragen nur knapp ins Ziel retten können, wenn sie Erfolge im Kampf gegen Hamas vorweisen kann. Die Likud-Opposition plädiert für den Einsatz des Militärs in den autonomen palästinensischen Gebieten, um Hamas- Terroristen aufzuspüren. Zwar hat die Regierung eine entsprechende Militäreinheit aufstellen lassen, aber wann und wo sie zum Einsatz kommt, ist noch nicht entschieden.

Szenenwechsel: Mehr noch als im israelischen West-Jerusalem ist die Polizei- und Militärpräsenz im arabischen Ostteil der Stadt verstärkt worden. Wer in diesen Tagen in Ost-Jerusalem an einem Kontrollpunkt aus seinem Auto hinauskomplementiert wird, weiß, daß ihm nicht unbedingt eine freundliche Aufwartung gemacht wird. Israelische Taxifahrer meiden wenn möglich die Jerusalemer Altstadt. Das Wort Damaskus- Tor, den Eingang zur Altstadt, scheinen sie fürs erste aus ihrem Gedächtnis gestrichen zu haben. Die israelischen Polizisten und Soldaten, die seit dem Busanschlag vom 3. März in unregelmäßigen Abständen in der Stadt patrouillieren und Kontrollen durchführen, sind nicht gerade zimperlich.

Die Stadt ist weiträumig von israelischen Kontrollposten abgeriegelt. Palästinenser, die im Westjordanland oder im Gazastreifen wohnen, dürfen Jerusalem ohnehin nicht betreten. Und selbst wer über eine der wenigen Ausnahmegenehmigungen verfügt, muß an den Kontrollstellen zumindest längere Wartezeiten in Kauf nehmen.

Am Damaskus-Tor überprüfen sieben israelische Soldaten an diesem sonnigen Märzmittag mit geradezu detektivischer Akribie die Ausweise der Palästinenser, insbesondere der Jugendlichen. Wer Widerworte gibt oder flapsige Bemerkungen macht, muß halt etwas länger auf die Rückgabe seines Ausweises warten. Touristen werden nicht behelligt.

Auf dem Suk, dem Markt in der Altstadt, ist die Spannung spürbar. Aber nach außen hin herrscht Gelassenheit. Es gebe halt „ein Problem“, womit die Hamas-Anschläge gemeint sind, und das müsse möglichst schnell gelöst werden. Der freundliche junge Mann am Empfang des Youth Hostels mitten im Bazar hat allen Grund zu hoffen, daß dies sehr bald sein wird. Er hat nämlich im Moment keine Gäste. Auch Nazek G., Inhaber eines Silberschmuckladens in der Altstadt, beklagt Einbußen beim Umsatz. „Die Leute sind kritischer gegenüber den Arabern“, sagt er. „Obwohl die Kennzeichnung von Silber in Israel strikt kontrolliert wird, glauben die Touristen, daß wir die Stempel in den Ohrringen oder Halsketten fälschen.“

Die Stände auf dem Markt lassen keine Wünsche offen. Auch frisches Obst und Gemüse gibt es reichlich. Die Apfelsinen kommen aus Israel, die Auberginen aus Palästina, wie ein palästinensischer Händler treuherzig versichert. Soldaten und Polizisten marschieren zu neunt oder zehnt durch den Suk, die Maschinenpistole baumelt von der Schulter. Und wer nicht rechtzeitig zur Seite tritt, verpürt schon mal einen unangenehmen metallenen Schlag in der Seite. Araber und Touristen drücken sich vor den lässig-herrisch daherkommenden Soldaten an die Mauern der engen Altstadtgassen oder treten eiligst in den nächstgelegenen Keramik- oder Souvenirladen ein. Kontrolliert wird in den Gassen der Altstadt aber niemand. Und die amerikanischen und japanischen Touristen mit ihren merkwürdigen Kappen oder gleich aussehenden T-Shirts können sich sogar ein freundliches Nicken für die offensichtlichen Herren der Altstadt nicht verkneifen.

Schikanen und Schläge an den Kontrollstellen

Nicht überall geht es allerdings so gelassen zu wie hier. In der al-Zahra-Straße, unweit vom Herodes- Tor, haben sieben Polizisten und drei Soldaten kurz vor Einbruch der Dunkelheit einen Kontrollposten errichtet.

Ein Tapezierer muß sein gesamtes Handwerkszeug aus dem Kofferraum ausladen. Nachdem er endlich seine Utensilien auf der Straße abgeladen hat, befiehlt ihm einer der Polizisten, jedes Einzelstück aus den verschiedenen Plastikkästen zu nehmen. Er gehorcht, obwohl ihm die helle Empörung ins Gesicht geschrieben steht. Bohrer, elektrische Kabel, Dübel und andere Gegenstände kommen zum Vorschein. Explosives ist nicht dabei. Die Leute von Hamas sind zu dieser frühen Abendstunde offenbar nicht unterwegs. Nach einer Viertelstunde darf er wieder einpacken.

Einem etwa 30jährigen Palästinenser in einem schwarzen Toyota-Sportwagen ergeht es nicht so glimpflich. Seine Beschwerde über die Kontrolle kontern die Polizisten mit ein paar derben Tritten und Stockschlägen. Der Palästinenser wird an die Eisenwand des nächsten Geschäftes gestoßen, mit dem Gesicht zur Wand. Ein Polizist kommt hinzu und tritt ihm noch einmal kräftig gegen den Oberschenkel. Der Palästinenser schreit auf. Sofort eilen einige israelische Polizeikollegen herbei und nehmen ihn in den Schwitzkasten. Es setzt weitere Hiebe, die der junge Mann mit lautem Gebrüll quittiert. Doch Aussicht auf Hilfe hat er nicht. Die Polizisten stoßen ihn in eine dunkle Seitengasse. Nach ein paar weiteren Schlägen beruhigen sie sich. Dem Palästinenser wird sogar eine Wasserflasche gereicht. Zwei Kollegen haben unterdessen das Auto durchsucht, aber nichts Verdächtiges finden können. Der Mann muß noch ein paar Minuten auf dem Boden verharren, dann wird er zurück zu seinem Auto geführt. Ein Polizist winkt mit seinem Ausweis, aber immer wenn der junge Mann zugreifen will, zieht der Polizist das Papier wieder zurück. Das Spielchen geht einige Male hin und her, bis es dem Polizisten langweilig wird und er den Ausweis auf das Wagendach wirft.

Festgenommen wird an diesem Abend an dieser Kontrollstelle in der al-Zahra-Straße niemand. Doch bevor die Kontrolle gegen 18.45 Uhr aufgelöst wird, gellen immer wieder laute Flüche und Schreie durch die Dunkelheit.