Uni-Proteste gegen Wiener Sparpaket

Damit hatte der österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky nicht gerechnet: Geschlossen wie nie zuvor wehren sich die Hochschulen gegen geplante Budgetkürzungen der neuen Regierung  ■ Aus Wien Daniel Asche

Als vor einigen Tagen die ersten Mitarbeiter der Sozialdemokraten in der Parteizentrale der SPÖ an ihrem Arbeitsplatz erschienen, entdeckten sie die Sabotage: Das hauseigene Computernetzwerk war zusammengebrochen. Das gleiche Bild in der Zentrale der konservativen Volkspartei, und auch im Wiener Wissenschaftsministerium ging an den Bildschirmen nichts mehr. Erst nach einiger Zeit fanden die herbeigerufenen PC-Nothelfer an jenem Morgen den Fehler: Die Österreichische HochschülerInnenschaft (ÖH), offizielle Vertreterin aller Studentinnen und Studenten, hatte mit vier Millionen E- Mails die Partei- und Regierungscomputer lahmgelegt.

Aber das war nur der Auftakt, denn Österreichs StudentInnen scheinen es ernst zu meinen mit ihrem Protest gegen Kürzungen im Bildungssektor: Seit Donnerstag werden alle Hochschulen des Landes lückenlos bestreikt, und auch Professoren und wissenschaftliches Personal haben sich dem Protest angeschlossen. Die größte Hochschule des Landes, die Universität Wien, hat sogar hochoffiziell den Lehrbetrieb bis auf weiteres eingestellt.

An den Unis entsteht ein neues Wir-Gefühl

Agnes Berlakovich, Vorsitzende der HochschülerInnenschaft, kann sich nicht erinnern, jemals so viele Menschen in Wien auf der Straße gesehen zu haben. Vierzigtausend StudentInnen, akademische Mitarbeiter und Professoren blockieren erstmals gemeinsam mit einem Protestzug die Altstadt. „Das sind ein Viertel aller Studenten in Wien“, meint Agnes Berlakovich begeistert. „Und auch in den anderen Universitätsstädten Österreichs wird demonstriert. In diesem Ausmaß hat es das in den letzten Jahrzehnten nicht gegeben.“

Es scheint ein neues Wir-Gefühl unter den StudentInnen entstanden zu sein. „Das Gefühl, gemeinsam auf die Straße zu gehen und für eine gemeinsame Sache zu kämpfen, ist was ganz Neues“, sagt ein Student, der sich trommelnd auf den Schultern eines Kommilitonen durch die Reihen der Demonstranten tragen läßt. „Da staunst aber“, sagt ein andererer, „daß es in Österreich so was gibt. Wir sind halt doch nicht alle Burschenschaftler.“

Grund der Proteste ist das „Sparpaket“: 100 Milliarden Schilling (14 Mrd. DM) will Österreichs neue Regierung in den kommenden zwei Jahren einsparen, um den Haushalt im Blick auf Maastricht zu konsolidieren. Das hat Bundeskanzler Franz Vranitzky (SPÖ) in den letzten Wochen immer wieder stolz verkündet. Auf diese Summe hatte er sich nach monatelangen, zähen Koalitionsverhandlungen mit Wolfgang Schüssel (ÖVP) geeinigt, seinem Stellvertreter und Außenminister.

Schüssel hatte im vergangenen Herbst wegen angeblicher Sparunwilligkeit des Kanzlers und seiner SPÖ die große Koalition aufgekündigt und Neuwahlen erzwungen. Und deshalb ist das „Sparpaket“ so wichtig für die neue Regierung, die vergangenen Dienstag von Bundespräsident Thomas Klestil vereidigt wurde. Dieses „Sparpaket“ dürfe auf keinen Fall aufgeschnürt werden, heißt es aus Regierungskreisen seither täglich.

Der Streik soll notfalls noch bis Ostern dauern

Bisher schien es auch so, als ob die Österreicher die angekündigten Einkommensverluste von durchschnittlich 1.800 DM im Jahr hinnehmen würden. Es gab nur flaue Proteste der sonst so aktiven Lobbyisten. Stolz konnte Vranitzky erst letzte Woche seinen europäischen Amtskollegen verkünden: „Französische Verhältnisse“ gebe es in Österreich nicht, trotz härterer Einsparungen als in Frankreich gebe es keine Streiks, das Volk füge sich ins Unvermeidliche.

Jetzt kommt alles anders. Die Universitäten sollen so lange bestreikt werden, bis das „Sparpaket“ fällt. „Zur Not streiken wir bis Ostern. Wir lassen uns auf jeden Fall noch einiges einfallen“, sagt Agnes Berlakovich und lächelt. Den Regierenden soll Hören und Sehen vergehen. Täglich soll bis auf weiteres demonstriert werden.

Die Chancen der StudentInnen, daß die Regierung doch noch Kompromisse macht, stehen nicht schlecht. Denn in der engen Wiener Altstadt führen schon kleine Demonstrationen zum Verkehrschaos. Und die Bereitschaftspolizei war bereits gestern übernächtigt. „Ich bin seit 20 Stunden im Einsatz“, sagt eine müde Polizistin, der ein Demonstrant gerade eine Nelke ins Knopfloch gesteckt hat. „Das kann noch heiter werden.“

Eine Kostprobe: Um gegen die Streichung der kostenlosen Studentenfahrkarte für den Nahverkehr zu demonstrieren, blockierten einfallsreiche Demonstranten kurzerhand die U-Bahn: In jeden Zug preßten sich so viele Studenten, daß sonst niemand mehr mitfahren konnte. Die U-Bahn-Beamten waren machtlos: Alle hatten einen gültigen Fahrausweis.