Hoch die Sowjetunion

■ In Rußlands Parlament schwelgt die Mehrheit in imperialen Nostalgie-Träumen

Moskau (taz) – Rußlands Parlamentarier legten sich gestern in aller Öffentlichkeit auf die Couch. Es galt ein Trauma zu memorisieren: den Zerfall der großen Union der sozialistischen Sowjetrepubliken – UdSSR. Eingeleitet durch eine räuberische und rassistische Politik der von Rußland dominierten KPdSU, vollstreckt vom damaligen Volkstribun Boris Jelzin, der seinem Volk nach Jahrhunderten imperialer Zwangsidentität die Chance zu nationaler Selbstbesinnung einräumen wollte.

250 Deputierte widerriefen das Abkommen von Beloweschensk, worin die Staatschefs Rußlands, der Ukraine und Weißrußlands im Dezember 1991 das Ende der Sowjetunion besiegelten und die Gemeinschaft unabhängiger Staaten (GUS) aus der Taufe hoben. 98 Abgeordnete wiesen den Antrag, der von den Kommunisten eingebracht wurde, ab. In einer weiteren Abstimmung bestätigten 257 Deputierte – bei sieben Gegenstimmen – die Gültigkeit eines Referendums vom 17. März 1991, in dem sich die Mehrheit der Bewohner des Imperiums für den Erhalt eines einheitlichen Staatswesens ausgesprochen hatte. Die Entscheidung besitzt weder eine rechtliche Grundlage noch einen verbindlichen Charakter.

Am Vorabend hatten General Lebed, Augenchirurg Fjodorow und der Vorsitzende der demokratischen Partei „Jabloko“ Jawlinski noch versucht, die Resolution zu kippen. In einem überraschenden Akt politischer Einmütigkeit veröffentlichten sie eine Erklärung: „Nachdem die neuen unabhängigen Staaten international politische Bedeutung erlangt haben, kann ein einseitiger Versuch, den status quo zu ändern, nur die globale Spannung verschärfen und das Verhältnis zu den Brudernationen verderben.“ Sie verwiesen darauf, daß das Beloweschensk- Abkommen, „von den kommunistisch dominierten Parlamenten der Ukraine, Rußlands und Weißrußlands ratifiziert worden ist“.

Den Kommunisten geht es in erster Linie gar nicht um eine Wiedererrichtung der UdSSR, sondern um Wähler, die sich über Nostalgie ohne Inhalt vereinnahmen lassen. Eine gewaltsame Annexion würde nämlich den Stamm der notorischen KP-Wähler mindestens noch einmal halbieren. Von Integration der GUS ist seit längerem die Rede, auch Präsident Jelzin erhob sie zu seinem Anliegen. Sein Bemühen ist ebenso dem Wahlkampf und der Sehnsucht der Menschen nach Harmonie geschuldet. Am Knochen fehlt das Fleisch, denn keine ehemalige Republik will ernsthaft zurück unter das russische Joch. Klaus-Helge Donath