: Sex, Drogen, Parlamentarismus
Wolfgang Koeppen, Autor, Nichtautor, Ghostwriter, ist tot. Er schloß die Literatur der Bundesrepublik an die Moderne an, geißelte die Restauration – und schwieg für vierzig Jahre ■ Von Thomas Groß und Jörg Lau
„Seien es Kongresse, Tagungen oder Gruppenveranstaltungen, einer wird immer dabei fehlen: Wolfgang Koeppen“ (Horst Bienek) – der Ruhm des Schriftstellers Wolfgang Koeppen gründet sich zu etwa gleichen Teilen auf die Romane, die er geschrieben hat – und auf die Romane, die er nicht geschrieben hat.
Welch ein Auftritt: Den Ruf, der über 40 Jahre anhielt, erwarb Koeppen sich mit „Tauben im Gras“ (1951), „Das Treibhaus“ (1953) und „Tod in Rom“ (1954) – „Zeitromanen“, die mit den bis dahin vorherrschenden Konventionen des Ominösen und Numinösen der Nachkriegsliteratur brachen, den Anschluß an die verlorenen Techniken der literarischen Avantgarde suchten und sich direkt in den Horizont der Restauration hineinbegaben. „Tauben im Gras“ etwa erzählt in vielfach gebrochener Perspektive und „filmischen“ Überblendungen die Geschichte einer Gruppe, der das Arrangement mit den neuen Verhältnissen nicht gelingt, weil die Spuren der Vergangenheit zu deutlich die Gegenwart unterminieren. Eine Atmosphäre von Schwarzmarkt, Ohnmacht und glanzlosem Gewinnlertum herrscht auch in „Das Treibhaus“ vor, der Geschichte eines Abgeordneten, dem genau das mißlingt, was im „Treibhaus“ Bonn gefordert ist: die Anpassung an den Sachzwang.
Koeppens Romane sind immer zugleich verkappte Künstlerromane: Der romantische Politiker ist eine Travestie des Artisten, der halb an den Rand der Gesellschaft gedrängt wird, halb sich freiwillig dorthin begibt, um als unbestechlicher Beobachter unter der Maske des Modernen die alten Mächte auszumachen: Odysseus, Babylon, Medusa und die Erinnyen. In diesem Bezug des Zeitgeschehens auf die „ewige Folie“, die hinter allem wirkt und west, sind Koeppens Romane dann doch wieder nicht frei von Dämonisierung. Nicht zufällig hat er sich lange vor Christa Wolf am Kassandra-Motiv abgearbeitet: „Ich sah den Dichter, den Schriftsteller bei den Außenseitern der Gesellschaft, ich sah ihn als Leidenden, als Mitleidenden, als Empörer“, heißt es in der Büchner- Preis-Rede (1962).
Nach der Darstellung des Zeitgeschehens als todbringendes Räderwerk von Sex, Drogen und Parlamentarismus, die Koeppen in „Tod in Rom“ noch einmal aufgriff, kam das Schweigen: Koeppen, der große Blockierte. In den mehr als vierzig Jahren danach entstanden zwar Reiseberichte, Kritiken und Essays, aber nur ein weiteres schmales Erzählwerk („Jugend“, 1976). Wenn man ihn zu vergessen drohte, köderte er das Publikum mit Ankündigungen und Appetithäppchen.
Der sanfte, immer freundliche Koeppen hatte ein recht abenteuerliches Leben. 1906 wurde er in Greifswald geboren, als Schüler brannte er durch, um Schiffskoch zu werden. Dann ein bißchen Studium, Versuche als Dramaturg in Würzburg, schließlich Schreiben in Berlin. Koeppen wurde zu Beginn der 30er Jahre Feuilletonredakteur des Börsenkuriers, arbeitete an der Weltbühne mit und traf im Romanischen Café die Künstler, Propheten und Weltverbesserer des Weimarer Milieus, zu denen er sich hingezogen fühlte.
1935 schlug er das Angebot der Berliner Zeitung aus und ging ins Exil nach Holland. Er kehrte 1938 nach Deutschland zurück, wo er sich mit Filmdrehbüchern seinen Lebensunterhalt verdiente: „Beim Film untergestellt“, nannte er das. Erst 1992 wurde bekannt, daß er ein frühes Nachkriegswerk unter Pseudonym geschrieben hatte: In „Jakob Littners Aufzeichnungen aus einem Erdloch“, zuerst 1948 publiziert, hatte Koeppen die Geschichte eines jüdischen Briefmarkenhändlers aus München erzählt, der ihn für diese Auftragsarbeit mit Carepaketen versorgte. Am Freitag ist Wolfgang Koeppen, ein großer Autor, Nichtautor und Ghostwriter, im Alter von 89 Jahren in München gestorben, wo er seit langem schwer krank und zurückgezogen lebte.
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