■ Bonn apart: Tarnen und Täuschen
Buchvorstellungen sind im Grundgesetz nicht ausdrücklich erwähnt, haben sich aber in Bonn als Foren politischer Kommunikation längst etabliert. Kein Wunder, daß das „Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ gestern bei der Vorstellung einer neuen Biographie über Wolfgang Schäuble einen Riesenauftrieb erlebte. Politprominenz drängelte sich, allein die Zentralfigur war abwesend.
Zwar durfte sich der Porträtierte sicher sein, daß ihm der Autor seiner Biographie politisch sehr nahesteht, handelt es sich doch um den Bonner Focus-Büroleiter Ulrich Reitz. Aber das rund 400 Seiten dicke Werk ist vom Fraktionsvorsitzenden der Union nicht autorisiert worden. Schäuble würde nämlich gern alles selbst steuern, was über ihn geschrieben wird, urteilte Reitz. Den Gestaltungswillen erklärte er mit den Verfahren, die der Politiker zur Sicherung seiner Macht anwende: „Tarnen, Täuschen, Spurenverwischen“.
Vor dem deutlich konservativ geprägten Publikum, das sich schon für kleine Scherze dankbar zeigte, übernahm Finanzminister Theo Waigel die Rolle des Lobredners auf das Werk und vor allem auf dessen Gegenstand. Aber je länger er in wohlüberlegten Formulierungen lobte, um so deutlicher wurde die Distanz, die ihn offensichtlich von seinem Fraktionschef trennt: Die meisten Urteile lieh sich Waigel bei anderen aus, sein einzig persönliches Bekenntnis bezog sich auf Schäubles Privatleben, auf dessen Umgang mit den Folgen des Anschlags: „Ich bewundere ihn ob dieser Kraft, das Schicksal zu meistern.“
Zu Anfang seiner Laudatio verkündete Waigel laut, was er neben der Schäuble-Biographie gegenwärtig lese: Ernst Jünger. Wahrscheinlich erkennt sich der Finanzchaosminister in Jüngers so unberührbaren wie schicksalsergebenen Helden und wähnt sich „In Zahlengewittern“. Wann endlich erbarmt sich ein Buchhändler und schickt dem Herrn der Haushaltslöcher ein überzeugendes Werk über Ethik und den Wert der Wahrheit? Schnell abschicken, in acht Tagen sind Landtagswahlen! Hans Monath
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