Opfer oder Täterin?

■ Hattinger Brandprozeß: Anwalt fordert Freispruch für Angeklagte

Essen (taz) – Die wegen schwerer Brandstiftung angeklagte türkische Hausfrau Yasar Ünver, für die die Essener Anklagebehörde eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung fordert, ist nach Überzeugung ihrer Anwälte unschuldig. Von Anfang an hätten sich die Ermittlungen von Polizei und Staatsanwaltschaft durch eine absolute „Konzentration auf das Opfer“ ausgezeichnet, hielt Verteidiger Detlef Hartmann gestern den Behörden vor. Entgegen den früheren Behauptungen der Polizei habe die Beweiserhebung „zweifelsfrei“ ergeben, daß Fremdtäter in der Brandnacht von außen ins Haus hätten eindringen können. Ein Zeuge hatte in der fraglichen Nacht drei junge Männer in der Nähe des Brandortes weglaufen sehen. Die waren ebensowenig ermittelt worden wie ein von mehreren Zeugen beschriebener Mann mit einem markanten Runen-Zeichen im Hinterhaar.

Das Haus der Familie Ünwer war eine Woche nach dem mörderischen Brandanschlag in Solingen an acht Stellen innerhalb des Gebäudes mit Holz und Papier in Brand gesetzt worden. Vor allem die Art und Anordnung der Brandherde wertet die Staatsanwaltschaft als Indiz für die Täterschaft der 34jährigen Angeklagten, die sich allein mit ihren fünf Kindern in der Brandnacht im Haus befand. Konkrete Anzeichen für ein Motiv der Angeklagten gibt es nicht. In seinem Plädoyer hatte der Ankläger darüber „spekuliert“, die junge Frau könne nach dem Solinger Anschlag den Brand „inszeniert“ haben, um Deutsche als Buhmänner hinzustellen und ihren Mann zur Rückkehr in die Türkei zu bewegen. Weil es für eine solche, vom Ankläger selbst als „Spekulation“ bezeichnete, Annahme kein einziges Indiz gibt, warf der Verteidiger Hartmann der Staatsanwaltschaft vor, „durch Erfindung eines Motivs“ ein „Opfer zur Täterin“ gemacht zu haben. In der nächsten Woche wird das Urteil gesprochen. Walter Jakobs