Selbsterfahrung mit dem Holz

■ Die Frauen von Ahoi Hamburg wurden am Wochenende deutsche Bohle-Meister/ Kegeln bleibt ein Sport zwischen Spießertum und letztem Schrei

Beiläufig schlagen hinten im Kegelkranz die Kugeln ein. Fünf Würfe, dann Schnaps für die Herren. Die Damen schlürfen Likör. Die Musikbox serviert Schlager, die Luft glüht. Ingrid und Peter tanzen eng. Witze, bis zur Anzüglichkeit pointiert. Naßgeschwitzte Menschen in den Wechseljahren kichern einvernehmlich wie Teenager. Wildgeweihe und Trophäen an der Wand schwitzen mit. Immer wieder Bier und „Pony“, der Piccolo-Sekt. Walter schiebt am schlechtesten. Am Tresen ist die Trefferquote höher. Mit dem „Pudelorden“ über dem Bierbauch gibt der Loser einen aus. Fehlwürfe sind Stimmungsmacher, wenn die Fröhlichkeit Trumpf ist.

Kegeln gilt als deutscheste Sportart und als gefährlich obendrein. „Da hat man am nächsten Tag garantiert Kopfschmerzen“, wird oft das Bild des schwammigen Kegelbruders beschworen, der rauschselig ein paar Würfe auf die Bahn legt. „Viele meinen, daß Kegeln einarmiges Reißen von Bierkrügen ist. Das hat mit Sport-Kegeln überhaupt nichts zu tun“, grollt Christin Jacobsen, Nationalspielerin vom Hamburger Bundesligisten Ahoi, einem der erfolgreichsten weiblichen Kegelklubs. 1993 und –94 holte Ahoi, einer von drei Hamburger Frauen-Bundesligisten, die deutsche Meisterschaft – stocknüchtern.

Ein dynamischer Anlauf, ein mächtiger Ausfallschritt. Die Kunststoffkugel läuft mit Effet die Außenkante der Bahn längs, wechselt die Richtung und zieht ihre Spur in der Gasse. Hinten bleibt nichts stehen – das Resultat filigraner Arbeit. „Wir kegeln mit dem Kopf“, sagt Erika Maashöfer, Sportwartin beim Bundesligisten Blau-Weiß Harburg und meint damit enorme Konzentration und eine geradezu meditative Gelassenheit. Die seltenen Fälle von Kopflosigkeit führen zum „Pudel“: Die Kugel läuft von der Bahn in die „Pudelrinne“. Um dem vorzubeugen, ist es wichtig, eine Kegelbahn mit ihren spezifischen Rundungen und Unebenheiten „lesen“ zu können.

In Norddeutschland wird grundsätzlich Bohle gekegelt, im Süden die kürzeren Asphaltbahnen, im Westen die Y-förmigen Scherenbahnen. Beim Bohle-Kegeln schicken die Spielerinnen die sieben Pfund schwere Kugel jeweils hundertmal über die Holzbahn. Die Männer schieben das doppelte Pensum. Auf den ersten Blick ein schlichtes Unterfangen. „Ich kann jedem Spötter nur empfehlen, einmal auf Leistung zu spielen“, relativiert Manfred Beneke von Hamburg 46, dem einzigen Männer-Bundesligisten der Stadt. Das bedeutet, auf hundert Wurf einen bundesligareifen Schnitt von 735 bis 750 Holz zu erreichen.

Verloren wie Schulkinder beim ersten Sportunterricht stehen die Keglerinnen in weiten Röcken, T-Shirts und Strümpfen in überdimensionalen Hallen. Als Unbedarfter wähnt man sich bei der Urschrei-Therapie einer Selbsterfahrungsgruppe in Weiß, die sich über den Begriff Holz definiert. Holz – der Code, der die Sportart chiffriert. Vom Gruß „Gut Holz“, bis zur Spielwertung, die mit dem Zauberwort berechnet wird: 4388 zu 4427 Holz. Die beste Einzelleistung wird als „Höchstholz“ gehandelt, „Holz holen“ meint: Punkte sammeln. Aber Bundesliga-Kegler brüllen das Wort vor allem, um die Atmosphäre zu schaffen, die das Publikum nicht leistet, da es wieder einmal fehlt.

Der KSK Ahoi schloß vorgestern in Delmenhorst die Saison wieder mit dem Frauen-Meistertitel ab. Mohnhof/Concordia Bergedorf wurde Siebter, Blau-Weiß Harburg muß zurück in die zweite Liga. Die Männer von Hamburg 46 plazierten sich im Mittelfeld.

Dennoch ist Alwin Temme, Präsident der Sektion Bohle beim Deutschen Keglerbund, frustriert. „Wir werden unser Kneipen-Image nicht los.“ Bohle-Kegeln wird öffentlich stets bloß als Scherz interpretiert. Der Nachwuchs hat keinen Bock auf solche Jokes – aus manchem Hamburger Kegel-Klub sind 90 Prozent der Jugendlichen abgewandert. Konjunktur hat nur das Hobby-Kegeln – für manche schon der letzte Schrei.

Die spaßorientierte Fraktion der linken Politszene hat den „Spießersport“ für sich entdeckt – nach dem Motto „Kegeln ist so bescheuert, daß es total gut kommt.“ Vom Kräuterschnaps beseelt, werden die Rituale so exzessiv inszeniert, daß sie zur Karikatur werden. Von den Selbstdisziplinierungs-Versuchen der Kegel-Ahnen ist nichts mehr zu entdecken. Den Kopf brauchen die Lustgewinn-Kegler für den Schnaps. Immer rein. Und die Kugel in die Pudelrinne. Auch egal.

Rainer Schäfer