Prêt-à-porter
: Schwermütiger Samt

■ Westwood in Hochform! Grüner Kaschmir bei Gigli

Hunderte von Kerzen auf der Galerie, Teppiche auf dem Laufsteg und Kleider aus Samt und Seide bei Romeo Gigli. Im letzten Jahr hatte er eine Bande verwegener Falschspieler auf den Laufsteg geschickt – die Sorte, die sich die Schuhe am Hosenbein poliert, bevor sie den Saloon betritt. Diesmal spielen die Herrschaften im Ritz und beugen sich über ein zartes Wesen, dem die Satinstola von den schmalen Schultern zu gleiten droht. Ein tailliertes oberschenkellanges Jackett oder ein Gehrock aus silbern-schwarz gestreifter Ottomanseide. Graue Kaschmirhosen, mit Schlag und rasiermesserscharfer Bügelfalte geben dem ganzen einen Hauch von dringend benötigter Seriosität. Die Kleider und Kostüme sind lang, schmal und meist aus Samt, in schwermütig dunklen Grün- oder Rottönen. Der hohe Schalkragen sorgt fürs Abfallen der Schultern, an den Ärmelrändern prangt eine Samtrosette. Sehr altes Geld hat diese Pracht bezahlt. Gerade mal Bronze ist als Farbe gestattet. Braun kommt nicht in Betracht – nicht, wenn man mit Vornamen Romeo heißt.

Gaultier wollte diesmal mehr „tragbare“ Kleider machen. Darunter versteht er mit kleinen Röschen bedruckte hautenge Seidenjerseykleider und -anzüge, die an den Seiten geschnürt sind. Zu einer Hose aus Lackleder, die wie eine Strumpfhose sitzt, reicht er eine kurze schwarze Lederjacke, vorne mit kleinen Pompons bestickt, die aus Gründen der Diskretion ebenfalls schwarz sind. Am schönsten waren seine Mäntel: aus gelbem oder rotem Wildleder, fast bodenlang, mit einem riesigen, am Rücken bis zur Taille reichenden Pelzkragen. Doppelreihig geknöpft und mit glockigem Rock erinnerten sie an alte Kutschermäntel. Die Kleider waren oft trapezförmig, aber denken Sie nicht schlecht von Gaultier, tragbar? Gewiß!

Foto: AP

Gaultier: Zum Ausgleich waren sie trägerlos und standen am oberen Rand ringsum etwas vom Körper ab. Genau die Art Kleid, wo man sich fragt, wie zum Teufel es hält. Tragbar? Aber gewiß! Solange man nicht „unauffällig“ darunter versteht.

Vivienne Westwood war in absoluter Hochform! Sie verpaßte ihren Piratenjacken große damenhafte Karos, kleine asymmetrische Schößchen und Keulenärmel. Die Hosen hatten ein hochelegantes und enganliegendes Kniebundhosenbein, das andere Bein war weit und zipfelte an der Seite. Nehmen Sie dazu ihre auf der Brust geplusterten Blusen, die Watteau-Falten am Rücken – diesmal in Form einer großen Falte –, die Röcke mit den Godetfalten an der Seite, so damenhaft – und reichen doch nie bis ganz zum Knie. Es war wild, ravissant und schamlos kokett. Was ein Westwoodkleid mit einer Frau macht, konnte man dieses Jahr besonders gut sehen. Es gibt eine ganze Reihe neuer Models, die alle gleich aussehen: 15jährig, jungenhaft kurze, meist blonde Haare, große Augen und magere Kinderkörper. Am schrecklichsten waren sie in der Schau von Cerruti, wo sie damenhafte Eleganz vorführen sollten: Mit aufgerissenen Augen und fast bewegungsunfähig vor Angst, sie könnten sich auf ihren hohen Absätzen wenig damenhaft langlegen. Dieselben Mädchen waren bei Westwood wie verwandelt – und die Absätze waren keinen Millimeter niedriger. Kokett tänzelnd, fröhlich den Hintern schwingend und strahlend lächelnd wirkten sie geradezu befreit. Und das, obwohl einige von Westwoods Kostümjacken inseitig ein Korsett haben, das nicht ziert, sondern schnürt. Anja Seeliger