Bespielte Ruinen

■ Gewagt: Deutschlands größtes Theaterfestival in Dresden

Jede europäische Großstadt hat heutzutage ihr internationales Theaterfestival. Und jede zweite deutsche Kreisstadt sowieso. Spektakel muß sein, und so hat die allgemeine Festivalitis auch einen eigenen Markt hervorgebracht, auf dem unter dem Signet des Sensationellen die jeweils neueste Produktion aus dem Hause Brook, Mnouchkine, Strehler, Wilson oder Bondy von Festival zu Festival herumgereicht wird. Da aber auch das nicht genügt, reisen ehrgeizige Festivalleiter mittlerweile in die entlegensten Winkel der Welt, um lokale Theatertalente dem Global Village zuzuführen. Der Kampf um Ur- oder zumindest Erstaufführungen wird immer härter, und wird doch nur für die Presse und die Geldgeber geführt.

Vor diesem Hintergrund stellte „Theater der Welt“, das größte internationale Theaterfestival Deutschlands, letzte Woche sein Programm in Dresden vor. Theater der Welt wird vom deutschen Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI) ausgerichtet. Seit 17 Jahren findet es alle zwei bis drei Jahre jeweils in einer anderen Stadt unter der Leitung des örtlichen Intendanten statt.

In diesem Jahr, vom 14. bis 30. Juni, zieht Theater der Welt nun erstmals in eine ostdeutsche Stadt. Für den künstlerischen Leiter Dieter Görne (Staatsschauspiel Dresden) und die Programmdirektorin Hannah Hurtzig (freie Produzentin, Berlin) war von vornherein klar, daß es kein Festival der großen Namen werden soll. Ihnen kommt es nicht darauf an, um jeden Preis die Welt nach Dresden zu holen, sondern künstlerische Konzepte einzuladen und auch zu entwickeln, die sich mit bedeutenden Orten der Stadt auseinandersetzen.

So wird der Londoner Architekt und Regisseur Julian Maynard Smith mit seiner Performancegruppe „Station House Opera“ und Performern aus Dresden eine „Umsonst und draußen“-Aktion rund um die Ruine der Dresdner Frauenkirche aufführen, die deren Wiederaufbau zum Thema hat. Und Choreographen aus Paris (Les Arts Étonnants) wollen mit professionellen Tänzern in einem alten Ballsaal die Dresdner Ballhaustradition wiederbeleben: Das Publikum wird dabei selbst zum Akteur: bei einer einstündigen Lektion in Gesellschaftstanz („Le Bal Moderne“).

Das Gastspiel des slowenischen Nationaltheaters aus Maribor wird im Festspielhaus Hellerau gezeigt, wo schon die Theaterutopien der Jahrhundertwende entworfen wurden. Regisseur Tomaž Pandur zeigt den Untergang des mesopotamischen Reiches in einem gigantischen, vierstöckigen Theaterturm. Es ist das aufwendigste Gastspiel, koproduziert von Theater der Welt. Außerdem im Programm: Robert Lepages „Die sieben Ströme des Flusses Ota“ in seiner siebenstündigen Schlußfassung und die „Orestie“ in einer Version der in jahrelanger Zurückgezogenheit arbeitenden italienischen Theatergruppe Sociétas Raffaello Sanzio.

Zur Eröffnung ist man nicht davor zurück geschreckt, das Schauspielhaus Hamburg mit Christoph Marthalers „Stunde Null oder die Kunst des Servierens“ einzuladen: westdeutsche Ideologiekritik, von einem Schweizer betrieben, auf dem Prüfstand vor ostdeutschem Publikum. Insgesamt werden 20 Produktionen und Projekte aus 13 Ländern und drei Kontinenten zu sehen sein.

Ob das Dresdner Publikum bei all dem mitspielt, kann Hannah Hurtzig schwer einschätzen. Immerhin haben die Dresdner die Protagonistin des Festivalplakats bereits getauft. Die freundliche Touristin, die im zimtfarbenen Jackett mit Anstecknadel und großer Handtasche mit Schulterriemen und Tragegriff vor einer ägyptischen Pyramide posiert, heißt hier: Luise. Kathrin Tiedemann

Der Kartenvorverkauf beginnt am 1. Mai. Ausführliche Informationen beim Theater der Welt, Telefon: 0351-494 18 54