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■ "Schwarze" Decoder haben europaweit einen Marktanteil von bis zu 20 Prozent. Die EU plant Gegenmaßnahmen

Nicht nur Geheimdienste und Militärs benutzen verschlüsselte Signale. Auch Pay-TV-Sender und andere neue Dienste verzerren übertragene Bilder und Töne, um sicherzustellen, daß nur diejenigen sie empfangen können, die auch Gebühren bezahlen. Die EU- Kommission hat jetzt allerdings in einem „Grünbuch“ festgestellt, daß nachgemachte Decoder und Chipkarten (Smartcards) bereits einen „Marktanteil“ von fünf bis zwanzig Prozent erreicht haben und so den weiteren Ausbau der Informationsgesellschaft ernsthaft behindern.

Nicht nur den Pay-TV-Sendern entstehen finanzielle Nachteile durch entgangene Gebühren. Auch die FilmhändlerInnen könnten die Ausstrahlungsrechte zu höheren Preisen verhökern, wenn die tatsächliche Reichweite der Sender bekannt wäre. Selbst die KäuferInnen der Piratendecoder werden von der EU-Kommission auf der Verliererseite verortet. Denn wenn die Dienste ihr Verschlüsselungssystem ändern, ist es sofort aus mit dem Gratisgucken. Ob sich der Anschaffungspreis bis dahin amortisiert hat, ist reine Glückssache.

Derzeit arbeiten in EU-Europa 79 TV-Sender mit verschlüsselten Signalen; die meisten sind Spartenprogramme für Musik- oder Sportfans. Deutschland ist in dieser Hinsicht noch Entwicklungsland. Hier steht Premiere, eine gemeinsame Tochter von Bertelsmann, Kirch und dem französischen Canal+, mit seinen rund 850.000 AbonnentInnen noch allein auf weiter Flur.

Die EU-Kommission ist sich aber sicher, daß die verschlüsselten Dienste weiter an Bedeutung gewinnen werden. Neben echten Fernsehsendern kommen Video- on-demand-Dienste, interaktives Teleshopping und professionelle Online-Informationsdienste dazu. Und da die Angebote immer spezieller werden, ist eine Werbefinanzierung künftig eher die Ausnahme als die Regel. Deshalb müssen die NutzerInnen zur Kasse gebeten werden, die Verschlüsselung sichert dabei die Zahlungsmoral.

Umso ärgerlicher für die Gläubigen der Informationsgesellschaft, daß die Verschlüsselungstechnologien schnell einen schwarzen Markt für Piratendecoder und die dazugehörigen Smartcards entstehen ließen. Einschlägige Angebote finden sich in Computer- und FunkerInnen-Zeitschriften. Teilweise bieten die PiratInnen sogar bereits Kundendienste für ihre Geräte an. Bei Premiere in Hamburg allerdings fühlt man sich von all dem nicht betroffen. „Unser Decoder ist piratensicher“, glaubt Premiere-Justitiar Dirk-Hagen Macioszek. Wie lange das noch gilt, kann aber auch er nicht sagen.

Das Grünbuch der Kommission macht ihm hierbei wenig Hoffnung: „Die Notwendigkeit, die Kosten für das Zugangskontrollsystem auf einem akzeptablen Niveau zu halten, verhindert die Verwendung eines immer höheren Sicherheitsniveaus; die Hersteller von nicht-genehmigten Decodern haben diesen Spielraum genutzt und sind jetzt in der Lage, dem Tempo der technologischen Entwicklung zu folgen.“

Anfang der neunziger Jahre waren die PiratInnen dem Stand der Technik sogar voraus. Beim Premiere-Vorgänger „Teleclub“ brachten die Schwarzdecoder sogar ein besseres Bild zustande als die offiziellen Entschlüsselungsmaschinen. Damals soll der Marktanteil der illegalen Geräte rund zehn Prozent betragen haben, erinnert sich der Premiere-Justitiar.

Bis zu 90 Millionen Mark kostet es nach Schätzungen der Kommission, ein entschlüsseltes System wieder sicher zu machen. Da wird sich so manch potentieller Investor sein Engagement in dieser Branche zweimal überlegen müssen. Die Kommission will daher den rechtlichen Schutz der Verschlüsselungssysteme vereinheitlichen und ausweiten.

Das Grünbuch listet immerhin vier EU-Staaten auf, die keinerlei rechtliche Regelung zum Schutz verschlüsselter Dienste kennen: Dänemark, Luxemburg, Portugal und Griechenland. Und in den anderen Staaten ist der Schutz ziemlich uneinheitlich geregelt. In Großbritannien und Irland sind etwa nur einheimische Sender geschützt. In Deutschland kommt derzeit in solchen Fällen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb zum Einsatz. Damit können aber nur die AnbieterInnen von Schwarzdecodern zu Unterlassung und Schadensersatz gezwungen werden. Den privaten NutzerInnen droht aber keine Sanktion.

Derartige Strafbarkeitslücken will die EU-Kommission jetzt schließen. In ihrem Grünbuch bittet sie um Feedback für ihren Vorschlag, künftig EU-einheitlich alles mit Strafe zu bedrohen, was mit Herstellung, Vertrieb und Benutzung von illegalen Decodern zu tun hat. Der Glaube an die Macht des Strafrechts mutet fast etwas naiv an. Für Gesten der Entschlossenheit ist der Ruf nach Schloß und Riegel allerdings meist ein probates Mittel. Christian Rath, Brüssel