■ Querspalte: Schulden und Sühne
Die Verschuldeten sind unser Unglück. Das ganze Leben abgezirkelt auf die Höhe der monatlichen Ratenleistung, machen sie unsere Gesellschaft unbeweglich und reformunfähig. Arbeitszeitverkürzung? Bloß nicht, heißt es dann immer, da kann ich meine Raten nicht mehr bezahlen. Überstundenabbau, Ökosteuern, Frauengleichstellung? Alles bedroht den exakt berechneten Ratenplan.
Es liegt klar auf der Hand: Niemand hat eine so großes Interesse am verhängnisvollen „Weiter so“ wie die Verschuldeten. Ich als Schwabe dagegen habe immer gespart, mein ganzes Leben lang. Deshalb bin ich reformfreudig. Ich bin für Arbeitszeitverkürzung, für Ökosteuern und für Frauengleichstellung. Fragt sich bloß, warum die anderen Schwaben anders sind?
Wahrscheinlich, weil sie nur sparen, um sich mit 40 dann um so heftiger zu verschulden. Das Bauen eines „Häusles“ ist dem schwäbischen Lebensweg doch fast genetisch eingekerbt. Was also zu beweisen war: Auch geistig-präventive Verschuldung führt zu politischer Unbeweglichkeit. Was aber tun? Populär wäre ein Programm für Arbeitszeitverkürzung, Ökosteuern, Frauengleichstellung und – für Schuldenstreichung.
Dann könnten die Verschuldeten zeigen, was in ihnen steckt. Plötzlich könnten sie sich mit ganzer Kraft für den erforderlichen Strukturwandel einsetzen. Oder wollen sie das am Ende gar nicht? Wollen sie sich sofort wieder neu verschulden, zurück in ihre zugenagelte Ratenwirklichkeit?
Wir sollten den Versuch dennoch wagen, man muß den Verschuldeten eine Chance zur Umkehr geben. Schon im Vaterunser heißt es: „Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.“ Wo Schulden waren, soll Sühne wuchern.
Wer das alles bezahlen soll? Wir natürlich, wir alle. Wir haben ja auch alle den Nutzen davon, wenn es endlich vorwärts geht. „Einer trage des anderen Lastschrift“, heißt es in der Bibel. Christian Rath
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