■ SPD und Grüne regieren weiterhin in Nordrhein-Westfalen, so der Beschluß des Parteitags der Grünen in Hamm. Autobahnausbau, Nachtflugverbot, Flughafenausbau - über alles wurde diskutiert. Heraus kam ein lauwarmer Kompromiß.
: Spröder Neuanf

SPD und Grüne regieren weiterhin in Nordrhein-Westfalen, so der Beschluß des Parteitags der Grünen in Hamm. Autobahnausbau, Nachtflugverbot, Flughafenausbau – über alles wurde diskutiert. Heraus kam ein lauwarmer Kompromiß.

Spröder Neuanfang einer jungen Ehe

Es traf ausgerechnet einen der buntesten Vögel der nordrhein- westfälischen Grünen. Gerade noch hatte Roland Appel in einem flammenden Beitrag gegen die einst auch von ihm so geliebte grüne Politik der „Knackpunkte und Ultimaten“ gewettert, da erstürmten ein paar Dutzend Gestalten das Podium. Bewehrt mit Helmen, Knüppeln und Polizeiuniformen, drängten sie den Düsseldorfer Fraktionssprecher zur Seite und übernahmen das Mikrophon, um „deutlich zu machen“, daß die Grünen „schon lange nicht mehr die Vertreter von Basisinitiativen sind“. Jedenfalls nicht für sie aus dem inzwischen geräumten Hüttendorf im ostwestfälischen Wald, der demnächst von der Autobahn A 33 durchschnitten werden soll.

So fundamental systemkritisch fiel die Kritik von Ursula Wirtz zwar nicht aus, aber die bittere Enttäuschung stand auch der Vorsitzenden der Dortmunder „Schutzgemeinschaft Fluglärm“ ins Gesicht geschrieben. Gerade sie hatten große Hoffnung in die Grünen gesetzt, zwischen 14 und 25 Prozent fuhr die Partei hier ein. Diese Wähler sind „nun über euch enttäuscht und verbittert“, ruft Ursula Wirtz in den Saal. Wenn der Ausbau des Flughafens nicht zu verhindern sei, „dann müßt ihr jetzt Rückgrat zeigen und die Koalition mit der SPD beenden“. Und dann folgt die inständige Bitte an die 275 Delegierten, diese Worte zu „beherzigen“, denn „wenn wir auch auf euch nicht mehr zählen können, dann bleibt eigentlich für uns kaum noch Hoffnung“.

Unter den Teppich gekehrt wird nichts. Beißende Kritik üben auch jene Initiativen, die gegen die A 44 zwischen Düsseldorf, Bochum und Dortmund oder in Köln gegen den ICE-Anschluß für den Flughafen Köln-Wahn und gegen den „Lärmterror“ durch die nächtliche Frachtfliegerei kämpfen. Eine kluge Parteitagsstrategie allerdings sorgt dafür, daß sie alle noch vor dem großen Delegiertenstreit zu Wort kommen. Maren Schüphaus, grüne Reala aus dem Rhein- Sieg-Kreis und vehemente Koalitionsgegnerin, sagt, sie „schäme“ sich inzwischen für die Politik der grünen Landtagsfraktion. Schüphaus verteilt eine Wahlkampfanzeige aus dem Landtagswahlkampf, in der die ebenfalls zu den Realas zählende Düsseldorfer Fraktionssprecherin Gisela Nacken sich für ein „Nachtflugverbot“ und für die „Verhinderung der ICE-Anbindung“ durch die Wahner Heide ausspricht. Doch die Botschaft von der Umfallerin stößt bei den Delegierten kaum auf Resonanz.

Ja, es sei richtig, daß die SPD im Fall A 44 den Koalitionsvertrag „gebrochen und an anderen Punkten in ihrem Sinne interpretiert“ habe, sagt Nacken, aber die Grünen dürften jetzt nicht so tun, als seien die Niederlagen im Verkehrs- und Flughafenbereich erst in den letzten Wochen entstanden. Jedem sei beim Parteitag in Kevelaer, der sich mit 89 Prozent für die Koalition mit der SPD ausgesprochen hatte, doch klar gewesen, daß „wir beim Nachtflugverbot und der ICE-Anbindung bittere Niederlagen erlitten haben“. Das spiegele sich im Koalitionsvertrag wider, der eben kein Nachtflugverbot vorsehe, „und auch das kleine Fenster einer zweistündigen Kernruhezeit mit schrittweiser Ausdehnung kann nicht gegen, sondern nur mit den dort tätigen Unternehmen umgesetzt werden“. Und selbst im Fall des A44-Teilstücks in Bochum, „dem deutlichsten Koalitionsbruch durch unseren Vertragspartner“, gelte, daß hierbei die Einflußmöglichkeiten des Landes begrenzt seien, weil der Autobahnbau in die Kompetenz des Bundes falle. Bei aller „berechtigten Kritik“ am sozialdemokratischen Wirtschafts- und Verkehrsminister Wolfgang Clement, so schrieb Nacken der Partei von einigen Zwischenrufen unbeirrt ins Stammbuch, „müssen wir uns auch diesen schmerzhaften Wahrheiten stellen“.

Solche an die eigenen Mitglieder adressierten „Wahrheiten“ schmerzen – in jeder Partei. Überraschend die Reaktion aus dem Saal. Applaus statt Empörung, die grüne Seele kochte wider Erwarten nicht. Schon jetzt stand fest, was sich Stunden später in den Abstimmungen manifestierte. Ein Ende der Koalition wollte diese Versammlung nicht. Nur 64 folgten dem Antrag des früheren Bundestagsabgeordneten Eckhard Stratmann, der den sofortigen Koalitionsbruch verlangte, 164 stimmten dagegen. Auch von zeitlichen Ultimaten, die „immer wieder dazu führen, daß wir gegen die Pumpe rennen“, so Roland Appel, wollten die Delegierten an diesem Tag nichts wissen. Deshalb fiel auch der Antrag von Manfred Busch, der von den „schmerzhaften Wahrheiten“ immer noch nichts wissen will, glatt durch. Da half es auch nicht, daß der Fraktionsgeschäftsführer und maßgebliche Propagandist der Haushaltsblockadestrategie noch schnell die schärfsten zeitlichen Festlegungen bei den zukünftig mit der SPD zu führenden Verhandlungen aus seinem Antrag herausnahm. Statt dessen kam ein Antrag von Umweltministerin Bärbel Höhn zum Zuge, in dem die Landtagsfraktion aufgefordert wird, dem Landeshaushalt in der kommenden Woche zuzustimmen. Gleichzeitig heißt es in dem erst am Samstag präsentierten Text, daß die Position der Grünen in den umstrittenen Verkehrsprojekten „unverändert“ bleibe, man aber davon „Abstand nehme“, wieder „zeitliche und inhaltliche Ultimaten zu stellen“. Daß dafür am Ende 130 Delegierte stimmten, bei 63 Gegenstimmen, ist nicht zuletzt ein Verdienst von Bärbel Höhn, die sich innerhalb der NRW-Grünen inzwischen zur bestimmenden Führungsfigur entwickelt hat.

Der einstigen linken Frontfrau glaubt die Partei, daß dieser Beschluß keine Zustimmung zur Koalition „ohne Wenn und Aber“ ist, sondern Basis für „einen Neuanfang auf Grundlage des Koalitionsvertrages“. Dafür will Höhn nun „sämtliche Hebel in Bewegung setzen“. Ob das gelingt, steht dahin. Soviel ist gewiß: An der nötigen Zähigkeit mangelt es Höhn nicht. Walter Jakobs