Mogelei mit dem Marschall

■ Schätze aus der Silberkammer des Rathauses / Im Goldenen Buch geblättert

Schwer öffnet sich die Tresortür, zur Silberkammer des Rathauses. Hier warten die Goldenen Bücher der Stadt gemeinsam mit zwei offiziellen Füllfederhaltern und dem silbernen Schreibgarnitur-Kästchen, das der Lord Major of Liverpool 1930 Bremen vermachte, auf ihren Einsatz im Dienst des Protokolls.

Am Anfang steht der Reichspräsident. Zwar hatte Feldmarschall von Hindenburg schon 1926 Bremen besucht. Als das erste Goldene Buch jedoch 1928 aufgeschlagen wurde, gehörte die Unterschrift des greisen Kriegshelden rückdatiert auf Seite eins. Seither haben sich etwa 1500 wichtige Menschen verewigt. Darunter waren trotz Queen Elizabeth und Tus Walles Handballdamen nur etwa drei Prozent Frauen. Erste echte Unterzeichner waren nach der Hindenburg-Mogelei jene tollkühnen Männer, die 1928 erstmals den Atlantik von Ost nach West überflogen hatten.

Es gebe keine Richtlinien, wer sich ins Goldene Buch einschreiben dürfe, so Protokollchef Wolfgang Vorwerk, der mit seinen Mitarbeitern die mittlerweile vier Bände hütet. Meist entschieden sie einvernehmlich, der Senat stimme dann zu. Der Brauch der „goldenen“ Gästebücher stammt aus dem 19. Jahrhundert. Zuvor waren goldene Bücher seit Venezianer Renaissance-Zeiten Geschlechterbücher, in denen die wichtigsten Familien der Stadt verzeichnet waren. Auch in Bremen wird ein solches goldenes Buch von 1808 im Staatsarchiv verwahrt.

Für das erste offizielle Gästebuch machte der Senat 1200 Reichsmark locker. Ein leibhaftiger Professor entwarf das Prachtstück mit dem schweinsledernen Einband und einer Kogge in Rot-Weiß auf dem Deckel. Auch das aktuelle Buch ist ein buchbinderisches Meisterstück: Als 1995 sich die 400 Seiten des dritten Buches allmählich füllten, wurde die Rathaus-eigene Buchbinderin mit dem Entwurf beauftragt. Im Staatsarchiv wurde das Werk mit rundum vergoldeten Seitenkanten gebunden. Weil sich kaum ein Kalligraph zutraut, freihändig die Namen der Unterzeichner auf die heiligen Seiten zu bringen, wird stets eine Expertin aus Buxtehude herangeholt. Oder das Buch wird in dringenden Fällen dorthin chauffiert.

Nur in lausigen Kriegszeiten mußte die luxuriöse Oberzeile entfallen. So beschließt die Unterschrift des Flottenadmirals Dönitz auf blanker Bleistiftlinie am 22.September 1944 das erste Buch. Vor ihm finden sich bis auf den offenbar verhinderten Führer sämtliche Nazi-Größen und 1943 die Landser des Infanterie Stoßtrupps Ostfront.

Nach dem Krieg wollte ein Thüringer Kaufmann der Stadt ein Gästebuch schenken. „Wir haben hier ein älteres Gästebuch, das aber das Licht der Öffentlichkeit scheuen muß“, schrieb Bürgermeister Kaisen dem Mäzen. „Ihr Buch kommt daher sehr gelegen“. Den symbolischen Neuanfang machte der Poet Rudolf Alexander Schröder im Januar 1948. Bald darauf durften sich schwedische Leichtathleten eintragen, die zum Länderkampf im international geächteten Deutschland weilten.

Dann folgen die Heroen der Nachkriegszeit: Willy Brandt, alle Bundespräsidenten nebst Gattinen (nur Frau Herzog fehlt), Raketenforscher Wernher von Braun, Astronaut Merbold, Walesa, die Queen und ihre Kollegen aus den Königreichen Tonga und Spanien und viele, viele Botschafter, wie der Marockaner Benjelloun, dessen Signatur die vorläufig letzte ist.

Die meisten hinterlassen, anders als der Marokkaner oder der Pole Lech Walesa, der sich an einen Abendspaziergang in der Altstadt erinnert, nur lapidar ihren Namen.

Gottesmänner finden gelegentlich einen sinnhaften Bibelspruch. Nur selten ist ein vorbereiteter Platz leer geblieben, wie im November 1974. Da fiel aus heute nicht mehr bekannter Ursache der Besuch von Herrn Kohl aus, dem ständigen Vertreter der DDR in Bonn. Auch echte Tragik ist verewigt, wie in jenem denkwürdigen Jahr 1995: Unter dem Datum 17. Juni ist hier verzeichnet: Deutscher Fußballmeister 1995, Werder Bremen. Hätte ja sein können. jof