Studenten zum Auswandern gezwungen

■ Berlin kann bald nicht einmal mehr die StudienanfängerInnen aus der Region aufnehmen. GEW befürchtet "massive Abwanderung junger Leute" und Anstieg der Jugendarbeitslosigkeit

Einen universitären Bildungsnotstand für die Region Berlin- Brandenburg prophezeit die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Bald könnten nicht einmal mehr alle SchulabgängerInnen aus der Region Berlin- Brandenburg ihr Studium in Berlin beginnen, wenn die Zahl der Studienplätze auf 85.000 verringert werde. Mindestens 100.000 Plätze müßten in Berlin gehalten werden, forderte gestern die stellvertretende GEW-Vorsitzende Brigitte Reich und legte Vorschläge für eine Strukturreform an den Hochschulen vor. Ziel ist es, die überdurchschnittlich hohen Kosten pro Studienplatz zu senken.

Gemessen am Jahr 1993 verdopple sich bis zum Jahr 2005 der Bedarf an Plätzen für StudienanfängerInnen in der Region Berlin- Brandenburg. Gleichzeitig nehme das Angebot im selben Zeitraum wegen der Sparvorgaben des Senats um ein Drittel ab. Im Jahre 2005 werden knapp 35.000 Jugendliche aus Berlin und Brandenburg studienberechtigt sein, rechnete Irene Lischka von der Projektgruppe Hochschulforschung in Karlshorst vor. Weil im Bundesdurchschnitt gut ein Viertel von ihnen auch tatsächlich auf eine Hochschule wolle, ergebe das etwa 27.000 Studienanfänger in der Region. Die Berliner Hochschulen aber könnten im Jahre 2005 nur noch 14.000 StudentInnen aufnehmen. Selbst wenn die Brandenburger Hochschulen voll ausgebaut würden und jährlich weitere 8.500 Jugendliche einen Studienplatz dort bekämen, sei die Lücke nicht zu schließen.

Als Folge des Abbaus erwartet die GEW eine „massive Abwanderung junger Leute“ und eine Erhöhung der Jugendarbeitslosigkeit. Der Mangel an Ausbildungsplätzen verschärfe die Situation. „Dem Berliner Senat ist die Zukunft der Jugendlichen offenbar gleichgültig“, sagte Reich. Die Politik vergesse dabei wohl, daß StudentInnen einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor darstellten: 15.000 weniger Studierende bedeuteten rund 15 Millionen Mark weniger in den Kassen der hiesigen Wirtschaft. Aufgrund der Sparmaßnahmen des Senats fielen auch bis zu 2.500 wissenschaftliche Stellen an den Hochschulen weg. Betroffen davon seien vor allem Teilzeitjobs, wie die studentischer Hilfskräfte, und wissenschaftliche Mitarbeiter mit befristeten Verträgen.

Um zumindest einen Teil der Studienplätze zu retten, stellte Brigitte Reich einen Forderungskatalog für hochschulinterne Reformen vor. Erst müßten die Kosten pro Studienplatz, die in Berlin überdurchschnittlich hoch seien, gesenkt werden, ehe die Plätze gestrichen würden. So sei das „etablierte Beamtentum“ an den Unis abzuschaffen, um mehr Flexibilität bei der Stellenbesetzung zu erreichen. Anstatt einer höchstdotierten C4-ProfessorInnenstelle ließe sich etwa eine C2-Professur mit einem wissenschaftlichen Mitarbeiter einrichten, so Reich. Zudem sollen ProfessorInnen mehr lehren: Zwölf statt der derzeit acht Wochenstunden. Auch der universitäre Mittelbau solle weniger forschen, dafür mehr für die StudentInnen da sein. Sparpotential macht die Gewerkschaft auch bei Sachmitteln aus: Warum müsse einem neuen Professor gleich ein neues Labor eingerichtet werden, fragte Reich. Um die Lehrkapazität an den Hochschulen zu erhöhen, seien daneben außeruniversitäre Forschungseinrichtungen stärker einzubeziehen. Bernd Kastner