■ Der Sonntagsausflug gestern und heute
: Luftpumpengefuchtel im Frühjahr

Früher war der Sonntagsausflug ein Verbrechen. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Ein Verbrechen gegen die Umwelt. Vielleicht sogar ein Verbrechen gegen die guten Sitten. Im Regelfall begann der Sonntagsausflug mit einem Akt übelster repressiver Willkür. Denn selbstverständlich wollten die lieben Kleinen lieber „Ivanhoe – Der schwarze Ritter“ im Fernsehen gucken, als durch die Landschaft zu tuckern. Indessen pflegte das Familienoberhaupt den Antrag ohne jede Debatte mit einem seiner berüchtigten Machtworte abzubügeln. Sodann wurde ein großkalibriger Explosionsmotor in Betrieb genommen, der wenigstens 20 Liter Superblei auf 100 km versoff. Während draußen der Auspuff qualmte, dampfte drinnen der Papa HB, was die Sprößlinge im allgemeinen zum Erbrechen des Frühstücks animierte. Die unschönen Geräusche, die daraus resultierten, pflegte die Mutter durch eine emphatische Lobpreisung der Landschaft zu übertönen.

Den Zielpunkt der Reise markierte in der Regel ein Waldparkplatz, wo man das Auto verließ. Man machte daraufhin etwa 50 Schritte über den Platz, wobei man den herumflatternden Sauerstoff tief inhalierte und dabei „Riech mal, die gute Luft“ sagen mußte. Auch wurde das Starten eines Treckermotors in der Ferne regelmäßig mit einem fröhlichen „Horch mal, der Specht“ quittiert. Sodann war man in einem Lokal angelangt, das „Zur deutschen Eiche“ oder „Waidmannsruh“ hieß und dafür berühmt war, Tortenstücke nicht unter 1.200 kcal zu fabrizieren. Nachdem man durch die Einnahme verschiedener Buttercremekreationen die Erhöhung des Lebendgewichtes und der Blutfettwerte sichergestellt und die Aussicht ausgiebig gelobt hatte, begab man sich auf den Heimweg, der sich vom Hinweg nicht wesentlich unterschied, außer daß auch die gute Mutter ihre Torte vor aller Verdauung wieder auszuscheiden beliebte.

Wie gut, daß sich die Zeiten ganz unverkennbar ändern! Zwar prescht am Sonntag noch immer ein ganzer Haufen von Besitzern raumschiffähnlicher Limousinen durch Wald und Flur – die Zukunft aber gehört dem Sonntagsausflug per Veloziped, und längst haben Legionen von einsichtigen Zeitgenossen aufs Fahrrad umgesattelt. Vor allem für die lieben Kleinen ist der pedalgetriebene Sonntagsausflug lehrreich und gesund. Wenn sie ihren ansonsten immer so ausgeglichen Paps nur einmal dabei erleben dürfen, wie er seinen Drahtesel 15 Kilometer weit fluchend und sich selbst ohrfeigend nach Hause schiebt, werden sie bis an den Rest ihrer Tage nicht mehr ohne Flickzeug ins Gelände radeln. Wenn sie mit ihren Erziehungsberechtigten in Ortschaften landen, die nach der Auskunft von Mama am Ende der Welt liegen, werden sie lernen, wie wichtig es ist, eine Karte lesen zu können. Und wenn ihr Vater einen rücksichtslosen Mountainbike-Raser stoppt, um ihm einige nachdrückliche Ratschläge in Sachen Radler- Benimm zu geben, dann wird auch ihre Konfliktfähigkeit davon profitieren.

Auch werden die Sprößlinge einen gesunden sportlichen Ehrgeiz entwickeln, wenn sie gelegentlich mitansehen müssen, wie ihr Erzeuger – dem Herzinfarkt nahe – vergeblich darum kämpft, nicht überholt zu werden. Sie werden lernen, sich mittels einer Luftpumpe ihrer Haut zu wehren, wenn ein Schäferhund heranprescht, der angeblich nur spielen will. Und schließlich können sie live erleben, wie man die Personalien eines Menschen akkurat aufnimmt, dessen Hasso sich von einem hektischen Luftpumpengefuchtel durchaus nicht von einem herzhaften Biß in die Wade abhalten ließ. Joachim Schulz