■ Pekinger Militärmanöver erschüttern Taiwans Wirtschaft. Während die chinesischen Machthaber weiterhin auf Einschüchterung setzen, gerät Taiwans Präsident immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik
: Chinesische Muskelspiele

Pekinger Militärmanöver erschüttern Taiwans Wirtschaft. Während die chinesischen Machthaber weiterhin auf Einschüchterung setzen, gerät Taiwans Präsident immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik

Chinesische Muskelspiele

Kao Koong Lian, Vizepräsident des taiwanischen Ministeriums für Festland-Angelegenheiten, mußte sich gestern die Zeitung gleich zweimal reichen lassen. Erst nahm der stellvertretende Minister die englische Ausgabe der China-Post zur Hand: „Präsident Lee wirft China Staatsterrorismus vor“, lautete der Titel. Dann griff Kao zur chinesischen Ausgabe und stellte erleichtert fest: „Unser Präsident hat nur die Aussagen eines Professors zitiert. Es gehört nicht zu unserer Politik, Peking Staatsterrorismus vorzuwerfen.“

Die kleine Episode ist dennoch symptomatisch. Nur fünf Tage vor seinem erwarteten Wahlsieg bei den ersten freien Präsidentschaftswahlen in Taiwan ist der amtierende Präsident Lee Teng Hui ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Dabei kommt auch die einheitliche Front ins Bröckeln, die der Westen und Taiwan in den vergangenen Tagen gegen die chinesischen Kriegsmänöver gebildet hatten.

Kritik an Peking stößt auf Unverständnis

Ebenfalls gestern hatte der erst kürzlich zurückgetretene amerikanische Vizeverteidigungsminister Joseph Nye in einem Interview mit der International Herald Tribune unverhohlene Kritik an der taiwanischen Politik geäußert: „Für Taiwan ist es wichtig, den Dialog mit China wiederaufzunehmen und dabei darauf zu achten, daß man bei dem Bemühen, größeren internationalen Spielraum zu erlangen, nicht wieder die gleichen Ängste weckt wie Lee Teng Hui bei seinem USA-Besuch im vergangenen Sommer“, sagte Nye, dessen Einschätzung von der US-Regierung offenbar geteilt wird. Nyes Anspielung auf Lees Amerika-Reise ist deshalb von Bedeutung, weil Peking das Ereignis schon 1995 zum Anlaß für erste Raketenmanöver nahm. Erst seit Lees USA-Aufenthalt hat China der taiwanischen Regierung verstärkte Unabhängigkeitsbestrebungen vorgeworfen.

Nicht nur in Washington löst Lee zunehmend Befremden aus. Mit Unverständnis reagierten gestern hohe Beamte in Taipeh auf den bislang schärfsten Angriff ihres Präsidenten auf die Pekinger Machthaber. Lee hatte während einer Fernsehdebatte mit den drei übrigen Präsidentschaftsanwärtern einen angesehenen taiwanischen Politologen mit dem Satz zitiert: „Am Vorabend der Wahlen sind die chinesischen Kommunisten mit Staatsterrorismus gegen Taiwan vorgegangen, indem sie Raketentests abhielten.“ Anschließend befand Lee, dies sei eine „zutreffende Analyse“.

Wird die Präsidentenwahl akzeptiert?

Für vorsichtige Diplomaten erschien diese Attacke um so unverständlicher, da sich der chinesische Premierminister Li Peng einen Tag zuvor erstmals versöhnlich über die taiwanischen Wahlen geäußert hatte: „Wir wünschen den Taiwanern ein friedliches Leben. Das zu erreichen ist nicht schwer. Der taiwanische Führer, wie immer er auch ausgewählt wird, muß nur die Politik der taiwanischen Unabhängigkeit in Worten und Taten aufgeben,“ sagte Li. Seine Aussage deutete erstmals darauf hin, daß Peking die taiwanischen Wahlen akzeptieren werde.

Weitere Schatten auf die zukünftige Rolle Lees warf gestern der frühere Unterhändler Taipehs in Peking, Sun Cheng. Der Intimus des verstorbenen taiwanischen Präsidenten Chiang Ching Kuo bestätigte in einem Interview mit der Asia Times die Gerüchte, daß der amtierende taiwanische Präsident in den 40er Jahren Kommunist war. „Er war noch kein Vollmitglied der Partei, aber er war auf der Kandidatenliste. Noch vor seiner Aufnahme betrog er die Partei, indem er zwei Mitglieder an die regierende Nationale Partei verriet, was zur Exekution seiner Genossen führte“, sagte Sun. Er machte daraufhin Lees kommunistische Vergangenheit für die derzeitigen Spannungen verantwortlich und fügte hinzu: „Die Kommunistische Partei vergibt keinem Verräter.“ Georg Blume, Taipeh