Arbeit an realen Schrecken

■ Thalia-Treffpunkt: Curio-Haus-Prozesse als beeindruckende Szenenfolge

Wie kann sich eine Theatergruppe einem historischen und gesellschaftlich nach wie vor äußerst heiklen Thema wie dem Prozeß gegen einen KZ-Lagerkommandanten und anderen befehlenden Nazischergen nähern?

Als eine Besuchergruppe wird das Publikum von einer Führerin anläßlich des 50. Jahrestages am Ort des sogenannten Curio-Haus-Prozesses begrüßt. Die Räumlichkeiten werden vorgestellt und die Zuschauer in einen Gang geführt, aus welchem damals die Angeklagten in den Saal kamen. Eine Tafel mit Datierung vom 8. März 1946 weist auf den „Cyclon B Trail“ hin. In dem Gang ist es eng und dunkel, eine Lüftungsanlage fängt an zu schnurren und zwei Schauspielerinnen lesen zeitgleich aus dem Totenbuch von Neuengamme und aus einem Zeitungsartikel über eine Besichtigung des Lagers 1946 vor. Der auffordernde Titel dieser Thalia-Treffpunkt-Inszenierung Seien Sie nicht so heldenhaft unpersönlich ist Programm.

Den Hauptteil – Ausschnitte aus dem Prozeß – verfolgen die Zuschauer von der Empore des Saales und betrachten von oben herab das Verlesen der Dokumente und die nachgespielten Szenen aus der Gerichtsverhandlung. Vorgelesen werden Aussagen von Häftlingen, sie erzählen vom Leben im Lager: Arbeitsbeginn, und nach 13 Stunden das Arbeitsende, die endlosen Appelle, die sklavengleiche Arbeit für die deutschen Rüstungsunternehmem, die schlechte Lebensmittelversorgung und die Strafen, die zum Teil Todesurteilen gleichkamen. Von der Empore geben unter den Zuschauern befindliche Schauspieler immer wieder Kommentare ab, die Gerichtsverhandlung rückt in die Gegenwart. Bei der Befragung der Angeklagten – exemplarisch werden die Aussagen von Kommandant Pauly und Lagerführer Thumann vorgelesen –, werden die Zwischenrufe lauter. Während Pauly alles abstreitet: „Das habe ich nicht gewußt... das kann ich nicht sagen ... ich kann mich nicht erinnern“, schildert Thumann seine Taten ausführlich und beruft sich dabei auf seine Pflicht als deutscher Soldat. So weit so gut, die Schablonen passen, doch dann wird Paulys Frau vernommen, sie schildert einen liebevollen Ehemann und Familienvater. Der quälende Menschenverachter, der im Lager eine schwangere Frau sezieren läßt, wird zur Doppelgestalt. Wie es sich für einen gelernten Kaufmann gehört, trennt er Beruf und Privatleben. Kein klassisches Monster. Geradezu schizophren wird seine Persönlichkeit, wenn er in einem Brief an seinen Sohn behauptet, er habe alles mögliche getan, um den Häftlingen zu helfen. Wirklichkeitsverschiebung, Selbstschutz oder Inszenierung? Dante jedenfalls kommentiert die unter die Haut gehenden dokumentarischen Szenen, die aufgrund ihres perfiden Inhaltes fast surreal wirken, aus dem Höllenkreis: „Ich möchte so gerne einen einzigen guten Traum von uns Menschen träumen. Ist das nicht lächerlich?“

Aberwitzig auch, wenn der Verteidiger Paulys – ein ehemaliger KZ-Häftling (!) – in perverser Rechnerei eine Zahlenverdrehung zu gunsten Paulys unternimmt. In der Menge der Daten und Eindrücke der Schilderung droht der Überblick verloren zu gehen, kein unangenehmer Effekt, denn es wäre vermessen, in eineinhalb Stunden ein abgeschlossenes Bild vermitteln zu wollen.

Marcus Peter