Mexiko demokratisch neu erfinden

■ Heute beginnt in Chiapas die wichtigste Etappe der Verhandlungen zwischen Zapatisten-Guerilla und Regierung

Mexiko-Stadt (taz) – Das „Wort Demokratie“, so kann man heute in einem Kommuniqué der Zapatistenguerilla EZLN nachlesen, „ist von weither zu uns gekommen“. Aber es sei schon immer „unser Weg“ gewesen, „auf daß der Willen aller sich im Herzen der Männer und Frauen der Führung ausbreite“. Genau darum soll es bei der heute beginnenden, zweiten Verhandlungsrunde gehen, die als die entscheidende Etappe im nunmehr elf Monate andauernden Verhandlungsprozeß gilt: um „Demokratie und Gerechtigkeit“, also um eben jene zapatistischen Essentials, mit denen die Guerilla vor zwei Jahren weltweit Aufsehen erregt hat.

Im Unterschied zur allerersten Regierungsofferte vom Februar 1994 und zum „Minimalabkommen“ vom 16. Februar dieses Jahres über „indianische Rechte und Kultur“ geht es ab jetzt tatsächlich „ums Ganze“ – ethnische oder regionale Einschränkungen gibt es nicht mehr. Schon die Tagesordnung kann getrost als zapatistischer Etappensieg betrachtet werden. In sieben Arbeitsgruppen mit insgesamt 40 „Unterthemen“ werden neben Wahlgesetzreformen, Föderalismus, Gewaltenteilung und Parteiensystem vor allem Formen „direkter Demokratie“ diskutiert werden; darunter die „Partizipation der Frauen“ und die politischen Rechte sozialer Bewegungen, aber auch Medienpolitik und öffentliche Sicherheit, Arbeitsrecht und schließlich gar die internationale Arbeitsteilung.

„Im Grunde geht es in Chiapas längst nicht mehr nur um die gerechten Forderungen der Indios oder die Lösung eines bewaffneten Konflikts“, so die Wochenzeitschrift Proceso, „sondern um grundsätzliche Fragen der Machtausübung.“ Die regierungsamtlichen Versuche, den zapatistischen Aufbruch aufs Lokale, Regionale oder Indianische zu beschränken, dürften gescheitert sein.

Selbst beim Parteiendialog über die anstehende Staatsreform, die gegenwärtig in der mexikanischen Hauptstadt geführt wird, dürfen die Maskierten erstmals offiziell mitmischen. „Wenn man über Demokratie und Gerechtigkeit redet“, räumte der als Hardliner bekannte Verhandlungsführer der Regierung, Marco Antonio Bernal, vor kurzem widerwillig ein, „dann muß man notgedrungen auch über die Staatsreform diskutieren.“

Zapatistas holen über 400 Gäste und BeraterInnen

Diese Diskussion wird keinesfalls unter Ausschluß der Öffentlichkeit stattfinden – ganz im Gegenteil. Mehr als 400 Namen stehen auf der langen Gäste- und Beraterliste der EZLN, darunter längst nicht nur SympathisantInnen und Linksliberale, sondern auch Fernsehmacher, Wissenschaftler, Schauspieler und sogar EZLN-kritische Intellektuelle. Demonstrativ aufgelistet sind außerdem die 17 Frauen und Männer, die seit über einem Jahr als „mutmaßliche Zapatisten“ inhaftiert sind.

Zu voreiliger Euphorie besteht dennoch kein Anlaß. „Die Regierung hat mit diesem Dialog eine heiße Kartoffel in den Händen“, resümiert der Agrarexperte Julio Moguel, einer der Hauptberater der EZLN, „weil dabei Dinge diskutiert werden, mit denen sie sich derzeit noch gar nicht wirklich auseinandersetzen will.“

Abseits vom Dialoggeschehen sorgt unterdessen eine neue EZLN-Offensive für einiges Aufsehen: in ihrem „Vierten Manifest des Lacandonischen Regenwaldes“ lädt die Guerilla zur Gründung einer – ausdrücklich zivilen – Zapatistischen Front zur Nationalen Befreiung (FZLN) ein, eine Art zapatistische Graswurzelorganisation, die weder Wahlbeteiligung noch sonst irgendeine Form der Machtübernahme anstrebt. Eben diese machtpolitische Abstinenz aber wird unter mexikanischen Intellektuellen und AktivistInnen derzeit kontrovers diskutiert. Während die einen den Aufruf als Begründung einer neuartigen politischen Kultur „von unten“ begrüßen, kritisieren andere die vermeintliche „Selbstbeschränkung“ der Guerilleros. Dagegen hält Proceso den Aufruf nur für „absolut konsequent“: schließlich handele es sich dabei nicht um eine Vorgabe für die gesamte Linke im Lande, sondern um die eigene „Metamorphose in eine legale Volksbewegung“.

Auch an den internationalen Fronten kämpft die populäre Guerilla in der ihr eigenen Manier weiter: zum kontinentalen „Forum gegen den Neoliberalimus“, das in der Osterwoche in einem entlegenen Urwalddörfchen mit dem schönen Namen La Realidad stattfinden soll, lädt sie nicht etwa nur prominente Linkspolitiker ein, sondern vor allem allerlei Stars der amerikanischen Kulturszene. Neben Harry Belafonte, Mercedes Sosa oder Eduardo Galeano werden so auch ein paar Abgesandte aus Hollywood im Lacandonischen Regenwald „erwartet“: persönliche Einladungen an Oliver Stone, Robert Redford oder Jodie Foster seien schon verschickt, weiß die Zeitung La Jornada. Anne Huffschmid