Spießrutenlaufen nach falscher Verdächtigung

■ Essener Landgericht spricht türkische Hausfrau frei: Haus nicht selbst angesteckt

Essen (taz) – Dieser Freispruch wirkt für die türkische Familie wie eine Erlösung. Fast drei Jahre lang war die Hausfrau Yașar Ünver von den Ermittlungsbehörden als Brandstifterin verfolgt worden. Gestern nun sprach das Essener Landgericht die 34jährige Mutter von fünf Kindern frei. Die Staatsanwaltschaft hatte behauptet, die junge Frau habe ihr Haus in Hattingen am 5. Juni 1993 – eine Woche nach dem Solinger Brandanschlag – selbst angezündet.

Das glaubt die 7. Strafkammer des Landgerichts nicht: Nach der Beweisaufnahme stehe fest, daß es „keine sichere Indizienkette und kein Motiv“ für die Täterschaft der Frau gebe. Eine Fremdtäterschaft sei „nicht ausgeschlossen“.

Die zahlreichen ZuschauerInnen im Gerichtssaal quittierten das Urteil mit lautem Applaus. Yașar Ünver selbst blieb ganz ruhig. Nur ein befreiendes Lächeln huschte kurz über ihr Gesicht. Auf den Zuschauerbänken strahlten ihr Mann und drei der anwesenden Kinder um so sichtbarer. Der Familienvater, der in der Brandnacht bei Thyssen in Duisburg gearbeitet hatte, zeigte sich überglücklich.

Schon elf Tage nach dem Brand hatte die Essener Staatsanwaltschaft von „objektiven Tatbefunden“ berichtet, aus denen der „Schluß gezogen werden“ müsse, daß der Brand von Frau Ünver gelegt worden sei. Danach begann für die Familie ein Spießrutenlauf: „Wir waren wie geschockt. Außer vier Kollegen und den Verwandten stand niemand mehr zu uns. Auch die Landsleute schauten weg. Wenn ich durch die Stadt ging, drehten sie den Kopf zur anderen Seite.“ So beschrieb der Vater die Situation, die die Familie seinerzeit zwang, aus Hattingen wegzuziehen.

In der Stadt war man damals hocherfreut, nicht in einem Atemzug mit Solingen oder Mölln genannt zu werden. Selbst der von der Stadt finanzierte „Verein zur Förderung der Ausländerarbeit“ hatte die Vorlage von der Staatsanwaltschaft bereitwillig aufgenommen. Er verteilte deren Erklärung, ohne auf die schon damals bestehenden „eklatanten Widersprüche“, die Verteidiger Wolfgang Heiermann zu Tage gefördert hatte, auch nur hinzuweisen.

Der Vorsitzende Richter Franz Hengst nahm in seiner Urteilsbegründung die vermeintlich „knallharten Fakten“ der Staatsanwaltschaft im Detail auseinander. Es gebe zwar auch Hinweise, die „darauf hindeuten“, daß Frau Ünver den Brand gelegt haben könnte, aber zwingend sei das nicht. Es sei auch möglich, daß die acht mit Papier und Holz gelegten Brandherde von Fremdtätern stammten: „Es steht nach den objektiven Befunden fest, daß es zwei Einstiegsmöglichkeiten gegeben hat.“

Falsche Behauptungen des Staatsanwaltes

Warum die Anklage überhaupt zugelassen wurde, erklärte der Richter damit, daß sich die Beweislage nach der Beweiserhebung im Gericht „differenzierter darstellt als nach Aktenlage“. So habe sich zum Beispiel die Behauptung der Staatsanwaltschaft, die Angeklagte habe den Täter gar nicht in der von ihr beschriebenen Weise – wegen einer verschlossenen Tür – fliehen sehen können, als „falsch“ herausgestellt. Zudem sei eine Vernehmung der Angeklagten durch die Polizei nicht verwertbar, weil es keine ordnungsgemäße Rechtsbelehrung gegeben habe. Die Polizei sei von der Zeugen- zur Beschuldigtenvernehmung übergegangen, ohne dies deutlich zu machen.

In seinem Plädoyer hatte Verteidiger Heiermann der Polizei „Voreingenommenheit“ vorgeworfen. Sie habe seine Mandantin mit „falschen Vorhalten“ unter Druck gesetzt. Gleichzeitig räumte Heiermann allerdings ein, es gebe „keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß die Behörden hier vorsätzlich handelten“. Heiermann wörtlich: „Das war kein Komplott“, sondern „wir haben es hier mit unbewußten Vorgängen zu tun, die zu einem einseitigen Vorverständnis und einseitigen Ermittlungen führten“. Walter Jakobs