„Bis jetzt hat noch jeder Krieg zum Frieden geführt“

■ Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde zu Berlin setzt unverdrossen auf einen türkisch-kurdischen Dialog

taz: Die Kurdische Gemeinde zu Berlin wollte heute abend mit einem Schweigemarsch durch Kreuzberg ziehen. Den haben Sie kurzfristig abgesagt. Aus Furcht vor Krawallen der PKK, heißt es.

Hassan Mohammed Ali: Das ist falsch. Wir wollten mit dem Marsch an den Giftgasangriff vom März 1988 in Halabja im irakischen Teil Kurdistans erinnern. Einige aus der Kurdischen Gemeinde haben nun gesagt, man könne doch gleichzeitig zum Neujahrsfest Newroz eine Demonstration machen. Das hat der Gemeindevorstand abgelehnt. Der Schweigemarsch ist ein Traueranlaß, bei Newroz wird gefeiert – beides zusammen geht nicht.

Ihr Rückzug kam aber doch erst nach den Ausschreitungen in Dortmund?

Das hat nichts miteinander zu tun. Doch kann es sein, daß es bei einer Demonstration zu Ausschreitungen kommt. Da gibt es einen Lautsprecherwagen, da wird geschrien, da gehen die Emotionen hoch. Das passiert bei einem Schweigemarsch eben nicht.

Sie geben zu, keinerlei Einfluß auf militante PKKler zu haben?

Die Berliner Kurden gehören verschiedenen Organisationen an. Aber die Kurdische Gemeinde macht keinen Unterschied. Wir werden niemals sagen, dieser gehört der PKK an, jener ist Alevit. Für uns sind alle Kurden gleich.

Der PKK-Vorsitzende Öcalan hat seinen gewalttätigen Anhängern in Deutschland gratuliert: „Tapfer sollen sie ihre Entscheidungen durchsetzen ..., mit Entschlossenheit, bis nichts mehr geht.“ Gehören die moderaten Töne der Vergangenheit an?

Ich kann nicht ein Interview eines Vorsitzenden einer politischen Partei, der ich nicht angehöre, kommentieren. Aber für mich ist das höchste, daß wir Kurden in Deutschland friedlich zusammenwohnen – im Rahmen der gültigen Gesetze, unter Beachtung des Gaststatus. Wir dürfen hier nichts unternehmen, was den Frieden stört. Wir müssen unsere nationale Frage auf friedliche Art und Weise vorbringen.

Wie wollen Sie das Ihren militanten Freunden beibringen?

Ich habe ein sehr gutes Verhältnis sowohl zu dem harten Kern wie auch zu den Gemäßigten. Ich bilde mir ein, daß die Kurdische Gemeinde einen gewissen Einfluß hat. Ich suche den Dialog zu allen. Aber während einer Demonstration, wo die Emotionen die geistigen Komponenten überrennen, da kann manchmal etwas aus dem Gleichgewicht geraten.

Können Sie sich zwischen den verschiedenen kurdischen Gruppen noch ungehindert bewegen?

Wenn ich als Gemeinde-Vorsitzender mit der PKK mal viel zu tun habe, gibt es einige, die einen Verdacht äußern. Aber generell weiß jeder, daß es im Sinne der Gemeinde ist, wenn ich mit allen Organisationen gleich intensiven Kontakt pflege.

Ruft die Kurdische Gemeinde nach dem Wochenende in Dortmund die PKK öffentlich auf, auf Gewalt zu verzichten?

Bisher hatten wir keine Zeit für ein Treffen des Gemeinderates. Wir sind die ganze Zeit mit den Vorbereitungen für den Schweigemarsch und mit dem Newroz-Fest beschäftigt. Das geht bestimmt noch bis Ende März.

Solange die kritische Phase andauert, gehen Sie den Problemen aus dem Weg?

All diese Dinge werden wir danach diskutieren.

Jede gewalttätige Auseinandersetzung ist doch ein herber Rückschlag für die Sache der Kurden.

Das kann ich so schnell nicht sagen. Ich muß erst eine Bilanz ziehen, analysieren.

Kann eine politische Lösung für die Kurden überhaupt in Deutschland gesucht werden?

Die Lösung für Kurdistan muß in Kurdistan stattfinden. Hier lassen sich keine Lösungen finden. In Deutschland kann ich höchstens die grausamen Ereignisse dort öffentlich machen. Deutschland muß die einseitige Militärhilfe an die türkische Regierung einstellen!

Wie stehen hier die Chancen für einen Dialog Türken–Kurden?

Ich als Vorsitzender der Kurdischen Gemeinde habe den Bund der Türken und die Türkische Gemeinde bereits zweimal schriftlich um ein Gespräch gebeten. Die Türkische Gemeinde schrieb zurück, bevor sie mit uns redet, müßten wir uns offiziell von der PKK distanzieren.

Sie unterstellen uns, ein Glied der PKK zu sein. Auf dieser Basis kann man nicht reden. Aber ich bin jederzeit dazu bereit. Es gibt nichts anderes. Denn jeder Krieg in der Welt hat bis jetzt noch immer zum Frieden geführt. Interview: Annette Rogalla