Durchgeknallte Tierbefreier

■ Ein Gespräch mit dem Monty-Python-erprobten Regisseur Terry Gilliam über seinen oscarverdächtigen Film "12 Monkeys": "In Washington D.C. meinte ein Typ, der Film sei die Pornographie des Fatalismus"

Letztlich nicht durchschaubar und doch irgendwie zielgerichtet läuft „12 Monkeys“ auf den Moment im Jahr 1997 zu, in dem die Menschheit von einem Virus ausgerottet wird und die Tiere die Erde wieder beherrschen (taz vom 24. und 26. Februar). Ein armer, nackter Sträfling (Bruce Willis) wird aus der Zukunft in verschiedene Phasen dieser Welt zurückgeschickt, um den Punkt herauszufinden, an dem die Dinge anfingen, falsch zu laufen.

taz: Mister Gilliam, „12 Monkeys“ spielt in der Zukunft, der Gegenwart und der Vergangenheit. Bruce Willis soll herausfinden, was damals, 1996, schiefgelaufen ist. Wollten Sie eine Art Time-Tunnel-Mischung aus „Brazil“ und „Jabberwocky“ oder eine apokalyptische Zukunftsvision plus Gegenwartskritik?

Terry Gilliam: Ich weiß nicht, warum die Leute „12 Monkeys“ nicht beim ersten Anschauen kapieren. Die meisten brauchen mindestens zwei Anläufe, damit es in ihrem Hirn klick macht. Viele wollen in jedem Moment des Films wissen, wo sie gerade sind. Das funktioniert hier nicht. Man muß sich treiben lassen und sich die Geschichte erzählen lassen, relaxen. Wir wechseln ständig die Perspektive und sogar die Genres. Zuerst ist es ein merkwürdiger Science- fiction, dann eine Story zwischen Bruce Willis und Brad Pitt, dann geht's plötzlich um Bruce und Madeleine auf der Straße, dann wieder Sci-fi.

Die Story von „12 Monkeys“ basiert auf dem Chris-Marker- Film „La Jetée“ von 1962, einer Reise durch die Psyche in Schwarzweißbildern.

Ich hab' „La Jetée“ jetzt erst gesehen. Ich wollte nicht, daß er mich beeinflußt. Ich finde ihn wundervoll, aber ich verstehe nicht, daß einige amerikanische Kritiker so viel Zeit darauf verschwenden, die beiden Filme zu vergleichen. Schlüsselideen sind identisch. Aber Markers Film ist perfekt in seiner Simplizität, unser Film ist sehr komplex. Das ist, als vergliche man ein orientalisches Märchen mit Dantes Inferno.

Wenn Sie durch die Zeit reisen könnten, wo wären Sie gern?

Daheim in London?! Da ist jetzt gerade Dinnertime. Nein, ich hab' kein Gefühl mehr dafür, das hatte ich als Kind.

„12 Monkeys“ ist nicht so sehr eine Zeitreise. Es geht um Orientierung, um Orte, die man nicht versteht. Ums Verirren. Und um Fatalismus. Deshalb auch das Logo des Films: Affen, die sich im Kreis drehen. Einen davon habe ich ausbrechen lassen. Der dreht sich um sich selbst.

Es ist ein sehr orientalischer Film. In den USA hat man die Idee, alles reparieren zu können. In Washington D.C. meinte ein Typ, der Film sei antiamerikanisch, eine Pornographie des Fatalismus. Amerika glaubt von sich, es könne alles zum Besseren verändern. Das ist nicht wahr.

Sind Sie Pessimist?

Nein, leider nicht, ich wäre gern einer. Um einen properen Pessimisten abzugeben, bin ich zu selten depressiv. Ich bin nicht so sehr an der Zukunft interessiert, ich will lieber, daß das Publikum meint, es wohne der Vision eines derangierten Gehirns bei.

Ich wollte einen dunklen Film – haben Sie „Sieben“ gesehen? – über Haltungen, menschliche Beziehungen. Technik interessiert mich dabei nur in einem metaphorischen Sinne. Es ist mit egal, wie der Laden funktioniert.

Das ist kein Film über die Zukunft, sondern über die Welt jetzt! Bruce ist wie ein Kind, er weiß nicht, welche Information für ihn wichtig ist. Wir müssen alle entscheiden, an welche Welt wir glauben.

Du kannst an eine Welt voller Junkies, Vergewaltiger und Massenmörder glauben. Oder an nette Reihenhäuser, wo Kinder brav zur Schule gehen. All das ist real. Du kannst voll Paranoia durch die Stadt laufen oder absichtlich die Ecken suchen, wo es gefährlich sein soll, aber spannender ist als zu Haus. In Amsterdam laufe ich durchs Rotlichtviertel, danach sagt ein Freund: Bist du wahnsinnig, das ist viel zu gefährlich. Es hängt alles von der Perspektive ab. In meinem Film muß man seinen Geist benutzen, aber nicht überanstrengen. Ich will ein großes Publikum, aber trotzdem Filme, die Ideen transportieren und nicht nur unterhalten.

Die weibliche Hauptfigur ist Psychologin. Geht die Bedrohung der Welt von den Psychologen aus. Ist Schizophrenie ihre Lieblingskrankheit?

Du kannst zwei Bilder von der Welt haben, und beide existieren parallel. Viele, vor allem Amerikaner, nehmen die Psychoanalyse viel zu ernst. Wieso reden die nicht mit ihren Freunden, sondern mit dem Analytiker? Es beunruhigt mich, daß man zahlt, um mit jemandem zu kommunizieren.

Mögen Sie Kafka?

Ja, ich bin von ihm beeinflußt. Interessant ist doch, ob die Welt schon vor Kafka so komplex war oder ob er diese Welt erst kreiert hat und wir jetzt alle an sie glauben.

Brad Pitt spielt den irren Weltzerstörer/retter ziemlich überzeugend. Was halten Sie von ihm?

Ja, er ist großartig. Als wir mit den Dreharbeiten begannen, war Brad noch kein großer Star. Einen Monat später rannten plötzlich die Mädchen auf der Straße hinter ihm her und kreischten. Bruce hat sich dann ein bißchen um ihn gekümmert, der kennt das schon (vorm Berliner Kempinski standen während dieses Interviews Mädchen, die Autogramme von Willis haben wollten).

„12 Monkeys“ ist u.a. auch ein Film über durchgeknallte Tierbefreier, Löwen laufen frei auf der Straße herum. Es ist aber auch ein Liebesfilm, allerdings ohne Sex, warum?

Die Liebesgeschichte hat was vom Romantizismus des 19. Jahrhunderts. Die Liebe kommt nicht an ihr Ziel. Es gibt Sex, nur sieht man ihn nicht. Ich bin sicher, die beiden treiben es am Ende im Bad. Aber es ist privat, es ist nicht für uns bestimmt.

Die Welt der „12 Monkeys“ wird an einem Virus zugrunde gehen. Meinen Sie Aids?

Nicht speziell. Es geht mehr um die Angst der Leute vor anderen, um den Schutz vor Aids. Keiner will jemanden berühren und angesteckt werden. Alle stecken in Latex. Die Leute sind panisch. Dinge, die Menschen trennen, beunruhigen mich.

Das Gespräch führte

Andreas Becker