Schrilles Heulen der Dampfpfeifen

■ René Clément, kühlster französischer Filmemacher, starb am Sonntag mit 83

Es gibt ein Foto von Rene Clément aus dem Jahr 1965, auf dem man ihn während der Dreharbeiten zu seinem Film „Paris, brûle- t-il?“ mit Gert Fröbe sieht. Zufällig sprechen beide gerade nicht, sondern sehen sich mit schräggelegten Köpfen an; Fröbe in Wehrmachtsuniform, Clément als Zivilist mit elegantem Skipullover und einer Pfeife in der Hand. Die kühle Noblesse im Umgang mit dem Terror war es, die Clément zum französischen Neorealisten machte. Entgegen anderslautenden Behauptungen war sein „La Bataille du rail“ zwar nicht der erste Film über die Résistance – das war nämlich der noch während der Kämpfe in der Hauptstadt entstandene „La Libération de Paris“. Aber Clément, der ein Architekturstudium abgebrochen hatte, verfügte über einen spezifischen Zugang: Er hatte vor und während des Krieges für die französische Eisenbahngesellschaft SNCF Dokumentarfilme gedreht und konnte deshalb blitzgenau zeigen, wie ein Lokführer Verfolgte versteckt, wie der Dienstleiter die Züge umdirigiert, wie ein Streckenarbeiter einen Waggon anbohrt, während die Dampfpfeifen schrill heulen. Clément verzichtet komplett auf die sonst (auch und gerade im Neorealismus!) übliche Heroisierung der Protagonisten. Faszinierenderweise sind sie aber auch keine Charaktermasken; irgendwie sind sie nichts als stumme, sympathische Agenten der Vernunft.

In Cléments zweitwichtigstem Film, „Jeux Interdits“ („Verbotene Spiele“, 1952, in Cannes, Venedig und Hollywood prämiert), wird ein im Krieg verwaistes Mädchen bei Bauern aufgenommen. Mit den anderen Kindern spielen sie „Krieg“ oder „Friedhof“; durch ihr Spiel versöhnen sich die verstrittenen Familien; nach der Befreiung verlieren sie sich aus dem Auge. Der Film konnte zunächst während des Kalten Krieges nicht einmal offiziell in Cannes gezeigt werden. Durch Brigitte Fossey einerseits und die Gitarre von Narciso Yepes andererseits blieb der Film in Erinnerung.

Als symptomatisch für Cléments prekäre künstlerische Position könte man „Plein Soleil“ (1960), eine Highsmith-Adaption, betrachten. Alain Delon sieht man hier mit fotogen benäßtem Oberkörper an der Reling stehen, weiß nicht wohin, weiß nicht woher.

Es heißt, daß Delon, den damals niemand kannte, beim Vorsprechen mutig vortrat und Clément bat, ihm die Hauptrolle zu geben, die eigentlich Maurice Ronet vorbehalten war. Aus der unentschiedenen Stille meldete sich, vom hinteren Teil des Saales, Madame Clément und rief: „Der Kleine hat recht!“ Ein Star ward geboren. Clément hingegen machte danach nur noch wenig von sich reden; der Film „Les Passagers de la pluie“ ging eher als besetzungstechnische Kuriosität in die Geschichte ein. mn