Irrungen, Wirrungen

Kühn fordert der FC Barcelona das Glück heraus und erreicht das Halbfinale des UEFA-Cup  ■ Aus Eindhoven Bernd Müllender

Aus Paris waren sie angereist, die beiden japanischen Korrespondenten, die für das Tokioter Fußballmagazin Striker (Angreifer) vom berühmten Spitzenfußball aus Fernwest Bericht zu erstatten trachteten. Aber da war ein Problem: Wie nur diese absurd komischen Namen, insbesondere der Eindhovener Spieler, in die eigene Schriftsprache transkribieren? Waterreus! Van der Doelen! Boudewijn Zenden! Silbe für Silbe lauschten sie den Ausspracheerklärungen einheimischer Zuschauer und murmelten die Fremdklänge immer wieder vor sich hin.

Dabei hätte ein Name fast schon genügt: Johan Cruyff. Denn Barcelonas Trainer, der zuletzt in einem vieldeutigen Interview mal wieder seine vorzeitige Pensionierung angedroht hatte, war als Strategie- Magier der entscheidende Mann des Abends. Sein Credo hernach: „Wenn man zwei Tore schießt, muß man Vertrauen haben, daß auch das dritte gelingt.“ Und umgekehrt: daß dies dem Gegner nicht gelingt. Und über den PSV (ohne sechs – darunter vor allem ohne den knieoperierten Brasilianer Ronaldo) wußte der niederländisch-katalanische Ballphilosoph zu berichten: „Manchmal hat man mehr Torchancen, als man Tore schießt.“ Simpel, völlig unsinnig, aber, weil Fußball: eben sehr wahr.

Johan Cruyff hatte mit multinationalen Kombinationen und Verwerfungen den begeisternden Fußballabend bestimmt und mit personellen Überraschungen alle staunen lassen: Er ließ seinen ligaerfahrenen Dayton-Sturm (Prosinecki/ Serbe und Kodro/Kroate) gleich ganz zu Hause und schickte statt dessen den rumänischen WM- Zauberer Georghe Hagi, zuletzt gerade mal minutenweise eingewechselt, in die Startformation. Zwar ist Cruyff dafür bekannt, seine Elfen immer wieder durcheinanderzuwirbeln, aber dieses Personalkarussell war selbst für ihn eine extreme Mixtur.

Ein Fanal zur Defensive, um das magere 2:2 aus dem Hinspiel zu retten? Völlig falsch. Cruyffs Motto: Ohne Stürmer, aber mit drei, oft vier kompromißlosen Angreifern gewagt offensiv agieren. Hagi gab nicht den Spielmacher, sondern abwechselnd einen Links- und Rechtsdraußen; Ex-PSVler Popescu, sonst Aufräumer im defensiven Mittelfeld, rackerte sehr weit vorne; Abräumer Nadal trug die 9, und – besonders ungewohnt – der sonstige Dauerläufer Bakero zeigte sich als Wirbelwind in Mittelstürmerposition.

Das alles verwirrte den PSV und führte zu einem 0:2 nach bereits 22 Minuten. „Eine Armee von Nachwuchsspielern“, hämmerte der britische Kollege kurz vor der Pause in sein Laptop, sei „unter dem Druck der Großen erbarmungslos zusammengebrochen“. Da traf Zenden („Ba-u-dee-wai-inn Se- enn-den“ – Tokios Striker). Und das Spiel wurde ein völlig anderes.

Gleich nach der Halbzeit zeigte sich die kurze Halbwertzeit taktischer Verwirrspiele. Leidenschaftlich erspielte sich der PSV Chance auf Chance; Barcelonas Abwehr zerfiel phasenweise in ein einziges Chaos, das den verzückten Massen aufregende Minuten gönnte. Nach Rot für Nadal folgte schnell der brillant herausgespielte Ausgleich. Barca hatte keine einzige Torchance in Halbzeit zwei – bis eine kleine, zudem unglückliche Unachtsamkeit des Nachwuchsmannes Klomp zehn Minuten vor Schluß entscheidende Wirkung hatte: Für Sergi war der Weg frei zum 2:3. „Ein kindermäßiger Fehler“, murrte PSV-Coach Dick Advocaat später. Glücklich für Barca? Unverdient?

Große Trainer sind es, die eben das Glück haben, kommentierte der Telegraaf. Richtig – und wieder so ein fußballtypischer Zirkelschluß. Denn ohne Glück wird man kein großer Trainer. Der große Johan aber sprach höflich von „zwei großartigen Teams mit viel Feuer“. Und von „einem tollen Wettstreit“, allerdings mit der wiederum verwirrenden Relativierung: „Weil so viele andere so schlecht sind.“ Ein großer Glückstrainer, den keiner je versteht: Neulich hatten sie in Holland ein langes TV-Interview mit Cruyff in den Zeitungen Wort für Wort nachgedruckt, und alle fragten sich beim Lesen: Was hat er eigentlich gemeint? Gar: Sich dabei gedacht?

Immerhin: Auch die Tokioter Kollegen waren „sehr beeindruckt“ vom berauschenden Kick im Philips-Stadion und vom Striker-Philosophen Joo-hann Kro- jiiff. Möge das ferne Japan die Kunde erreichen: Im Land der Unaussprechlichen, wo man so stolz ist auf die eigenen flexiblen Spielsysteme, hat ein ausgewanderter Einheimischer den Gegner mit den eigenen Mitteln konterkariert und gnadenlos ausgehebelt.