Opium für das kurdische Volk

In Iranisch-Kurdistan sind Langeweile und wirtschaftliche Misere die Hauptprobleme. Über Politik denkt man lieber gar nicht erst nach  ■ Aus Sanandadsch Thomas Dreger

Mit einem Geräusch, das entfernt an das Verschwinden des letzten Badeschaums durch den Abfluß erinnert, verbrennt das Opium. Massud drückt ein glühendes Stück Holzkohle auf die kleine, schwarze Kugel auf dem tönernen Pfeifenkopf und nimmt mehrere tiefe Züge. Beim Ausatmen seufzt er: „Das Leben unter der Diktatur ist schwer.“

Im Wohnzimmer des 50jährigen in Sanandadsch, der Hauptstadt der iranischen Provinz „Kordestan“, haben es sich vier Kurden auf dem Fußboden vor dem Kamin bequem gemacht: Ali (39) und Akbar (44), beide langjährige Untergrundaktivisten des illegalen kommunistischen Tudeh-Partei, Mahmud (35), begeisterter Musiker und ein Virtuose auf dem Saiteninstrument Tanbur, und Massud selbst, viele Jahre für die „Kurdische Demokratische Partei – Iran“ (KDP-I) im Ausland aktiv.

Während das Opium verbrennt und süßer Tee die Kehlen herunterrinnt, diskutieren sie über Politik und ihre politische Vergangenheit. Die Droge stumpft nicht ab, sie versetzt in einen als wach empfundenenen Schwebezustand, in dem sich trefflich lamentieren läßt. Ali saß fünf Jahre in einem iranischen Gefängnis. „Sie haben mir den Bauch mit kochendem Wasser übergossen und Elektroden am Genital befestigt. Ich habe immer noch Schmerzen“, erzählt er. „Ich habe Scharafkandi die Hand geschüttelt, wenige Stunden bevor er in Berlin ermordet wurde“, berichtet Massud. Scharafkandi, der Generalsekretär der KDP-I, wurde 1992 im Berliner Restaurant Mykonos ermordet – wie 1989 sein Vorgänger Ghassemlou in Wien.

„Wir versuchen, uns aus der Islamischen Republik herauszuhalten, wo es nur geht“, berichtet Ali und nimmt gleich drei Züge aus der Pfeife. Und dann: „Wenn man nicht aufpaßt, wird man von dem Zeug süchtig.“ Wahrscheinlich rauche ein Drittel der Iraner Opium. Das Hauptproblem sei nicht Repression, sondern Langeweile und wirtschaftliche Misere. „Hier ist einfach nichts los“, meint Mahmud. „Vor der Revolution konnte man nachmittags in ein Teehaus gehen und mit schönen Frauen tanzen. Heute sitzen wir zu Hause und rauchen Opium.“

„Mein Vater hat bis zu seinem Tod täglich Opium geraucht“, erzählt Massud. „Wenn er reisen wollte, hat er sich eine Woche vorher entwöhnt.“ In dem Pfeifenkopf sammelt sich beim Rauchen ein stark konzentriertes Gemisch. Das habe sein Vater aufgekocht und in einer Flasche mit Multivitaminsaft verdünnt. „Er hat jeden Tag ein Glas getrunken und die Flasche anschließend mit Saft wieder aufgefüllt. Nach einer Woche war die Flüssigkeit so verdünnt, daß er keine Entzugserscheinungen mehr hatte“, berichtet Massud. „Dann konnte er reisen. Wer eine gesicherte Existenz hat, kann gut mit der Droge leben.“

Von den vieren artikuliert nur noch der Exkommunist Akbar eine politische Meinung: „Nach dem Zusammenbruch des Sozialismus habe ich akzeptiert, daß nur private Wirtschaft einem Land zum Aufschwung verhelfen kann.“ Trotz der fast identisch klingenden Schlagzeilen kauft Akbar täglich mindestens fünf iranische Zeitungen – und er macht Unterschiede aus: „Chamenei steht für den Rückschritt Irans, Rafsandschani für die Zukunft. Leider kümmert der sich nicht um die Armen. Aber ein iranisches Sprichwort lautet: In der Wüste ist ein kaputter Schuh besser als überhaupt keiner.“

Entlang der Straßen der Provinz „Kordestan“ sind noch die Stützpunkte der Revolutionswächter zu sehen. Trutzburgen, mit Türmen und Zinnen, auf Hügeln errichtet, die maximal fünf Kilometer voneinander entfernt liegen, erinnern an den Krieg zwischen Kurden und iranischen Soldaten. Doch mindestens die Hälfte der Posten sind inzwischen unbesetzt.

Hunderttausende sind aus dem Irak geflüchtet

Seitdem der irakische Staatschef Saddam Hussein Anfang 1991 nach der Befreiung Kuwaits die Aufstände der irakischen Kurden niederschlagen ließ, sind einige hunderttausend irakische KurdInnen in den Iran geflüchtet. Offizielle Statistiken gibt es nicht. „Viele Handwerker kommen aus dem Irak“, erzählt Massud. „Die meisten Leute hier haben sowieso keine Papiere, und die Kurden im Nordirak sprechen die gleiche Sprache wie wir. Da fällt es nicht auf, wenn jemand von jenseits der Grenze kommt.“

Doch die meisten Zuwanderer sitzen auf der Straße. An den Ausfallstraßen bieten sie geschmuggelte Zigaretten einzeln feil – auch im Schneegestöber: Die kostbare Ware mit Plastikplanen bedeckt, den eigenen Körper der Kälte ungeschützt ausgesetzt, die Füße knietief im Matsch. Hinzu kommen emigrierte BewohnerInnen der kurdischen Dörfer Irans. Weil in den Bergen auch täglich 16 Stunden Arbeit nicht ausreichen, um die Familie zu ernähren, und weil der winterliche Schnee die Siedlungen über Wochen von der Außenwelt abschneidet, haben Tausende ihre bäuerlichen Existenzen aufgegeben und ziehen ein Leben als Tagelöhner in Sanandadsch vor.

Mohammad kommt aus einem Dorf an der Grenze zum Irak. Seit drei Jahren studiert er Literaur an der „Kurdistan-Universität“ von Sanandadsch. Mit vier Kommilitonen teilt er sich im Studentenwohnheim zwölf Quadratmeter, mehrere auf dem Boden ausgebreitete Decken und Kissen sowie einen Blechschrank. Aus dem Kassettenrekorder ertönt kurdische Musik. Der kurdische Sänger Mohammed Rida Lotfi lebt seit Jahren im Exil in den USA. Seine Tonträger darf er trotzdem in der Islamischen Republik vertreiben – mit ausdrücklicher Genehmigung des Teheraner Ministeriums für religiöse Führung, wie auf der Kassettenhülle vermerkt ist.

Mohammad wechselt die Musik zu Michael Jackson: „Wenn man sich aus allem heraushält, kann man hier leben. Aber wehe, man interessiert sich für Politik“, sagt er. Stolz zieht der 22jährige die Schalwar an, die kurdische Pumphose, bindet das schwarzweiß-karierte Tuch um den Bauch und streift die kurze kurdische Jacke über. „Ich gehe fast jeden Tag so zur Universität. Fast alle kurdischen Studenten machen das genauso.“ Ansonsten habe der Name der Universität aber mit der Realtität wenig zu tun. Unterrichtet werde in der Staatssprache Farsi, kurdische Kultur käme im Unterricht nicht vor. Nur wenn ein Dozent bei seinen Erklärungen auch beim zigsten Versuch nur verständnislose Gesichter sehe, wechsele er ins Kurdische. Dann reagierten jedoch andere ratlos: Rund ein Drittel der Studenten der „Kurdistan- Universität“ seien zugereist – sie verstünden nur Farsi.

In ihrem Zimmer tragen die Studenten Trainingsanzüge. An den Wänden hängen Poster mit Fußballmanschaften. Weil an dem Feiertag Freitag die Mensa der Universität geschlossen hat, wird in dem Studentenwohnheim gekocht. Heute gibt es Abguscht, in Fett und Wasser gekochtes Fleisch mit Gemüse, das nach dem Garen mit einem hölzernen Stößel zu einem Brei zerstampft wird, das iranische Nationalgericht. Dazu trinkt man Tee – ansonsten ist die Mahlzeit garantiert drogenfrei.

Militärische Erfolge der Guerilla sind rar

„Das größte Problem hier ist, daß es keine Jobs gibt“, meint Mohammad. „Kordestan“ gehört zu den ärmsten Provinzen Irans. Anstatt die Bevölkerung direkt zu unterdrücken, hat die Führung in Teheran darauf verzichtet, Arbeitsplätze zu schaffen. Außer einer Abfüllstation für „Sam Sam“- Limo gibt es praktisch keine Industrie. Etwa 70 Prozent der Hochschulabsolventen Irans seien arbeitslos, berichteten kürzlich die staatlichen Medien. In „Kordestan“ ist die Quote noch wesentlich höher; Statistiken gibt es nicht.

Mit der kurdischen Guerilla der KDP-I haben alle fünf trotz dieser miserablen Aussichten nichts zu tun. „Soweit ich weiß, agitieren die nicht mal an der Uni“, berichtet Mohammad. „Das wäre zu gefährlich.“ Dennoch hätten die meisten kurdischen Studenten Sympathien für die Bewegung: „Das sind sehr tapfere Menschen. Sie halten auch im Winter in den Bergen aus.“ Militärische Erfolge der Guerilla seien jedoch rar. Sympathien für die Bewegung „darf ich nicht einmal denken“, meint Mohammad, sonst rutsche ihm vielleicht im Schlaf ein falsches Wort heraus.

„Seitdem die irakische Führung international isoliert ist, sucht Saddam Hussein Hilfe aus Teheran. Deswegen unterstützt der die iranischen Kurden nicht mehr“, analysiert er. Seit der Befreiung Kuwaits im Jahr 1991 werde die kurdische Guerilla auf iranischem Gebiet nur noch selten aktiv. „Früher hat es hier in Sanandadsch nachts gekracht. Heute überfallen die Kurden nur noch gelegentlich einen Posten der Revolutionswächter auf dem Land. Die bombardieren dann ein kurdisches Dorf. Das ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Seit 40 Jahren geht das so und bringt wenig, außer Toten.“

Mohammad streift sich vor dem Spiegel durch die Haare. Er will noch seine Freundin treffen. Sie studiert ebenfalls in Sanandadsch und lebt im Wohnheim auf der anderen Straßenseite, höchstens 100 Meter entfernt. In dem Gebäude war Mohammad trotzdem noch nie, weil davor ein Wärter steht und auch sonst viele aufpassen. „Es ist schwierig, sich heimlich zu treffen“, erklärt er. „Aber weil wir beide nicht aus dieser Stadt stammen, beobachten uns die Leute nicht so genau.“ Eine Verabredung zum Eisessen sei da schon drin und einige unverdächtige Worte auf der Straße. „Wenn niemand hinhört, reden wir über dies und das. Gestern haben wir beschlossen, daß wir heiraten und Kinder haben wollen. Wir wissen nur noch nicht, wann.“