■ Die PKK-Soli-Szene läuft Gefahr, auf eine völkische Interpretation des Kurden-Konflikts zu verfallen
: Mit Öcalan auf dem Weg nach rechts

Worüber soll man sich nach den Zusammenstößen zwischen PKK- Anhängern und Polizisten mehr entrüsten? Über das rücksichtslose Vorgehen der Ordnungshüter? Die entschlossene Militanz der Demonstrierenden? Über die ministeriellen Reflexe? Oder über die Rhetorik von Teilen der PKK- Solidaritäts-Szene?

Zunächst ist Außenminister Klaus Kinkel und Innenminister Manfred Kanther und all den anderen entschieden entgegenzutreten, die eine Verschärfung des Ausländerrechts und Abschiebungen als angemessene Antwort auf „kriminelle“ Kurden fordern. Es ist billiger Populismus, Wahlkampfstimmung. Solange die Betroffenen in der Türkei mit Folter und Todesstrafen rechnen müssen, verbieten sich derlei Gedankenspiele und Problembewältigungsversuche. Darauf wurde vielfach hingewiesen. Darin, auch das ein Stück bundesrepublikanischer Wirklichkeit, ist sich eine breite (nicht nur linke) demokratische Öffentlichkeit einig. Wie stark sie ist, wird sich letztlich am Erfolg oder Mißerfolg zeigen, diese Pläne zu verhindern. Darüber hinaus gilt: Unter anderem halten Waffenlieferungen aus Deutschland die Kriegsmaschinerie im Südosten der Türkei am Laufen. Mit ihrer Hilfe werden Menschen getötet, Massaker verübt, Dörfer zerstört, ganze Landstriche entvölkert. Deutschland kann sich folglich nicht auf Neutralität berufen, kann seine Hände nicht heuchlerisch in Unschuld waschen.

Trotz alledem ist nicht alles devot zu schlucken, was uns vom PKK-Umfeld aufgetischt wird. Ebenso unappetitlich wie der Zynismus der Bonner Minister ist das, was uns die innenpolitische Sprecherin der Berliner PDS und Vorsitzende des deutsch-kurdischen Freundschaftsvereins, Marion Seelig, stellvertretend für viele in ihrem Kommentar „Gastgeber und Gäste“ servierte (taz v. 19. März).

Mit einer Selbstverständlichkeit verbreitet sich seit geraumer Zeit die Rede vom Völkermord in der Türkei, die einem die Zornesröte ins Gesicht treibt. Als Zustandsbeschreibung vor Ort kann ich den Begriff bestenfalls von den Angehörigen der Ermordeten als Ausdruck ihrer Wut und ihres Hasses auf den Aggressor tolerieren. Von einer deutschen Parlamentsabgeordneten vorgetragen, ist dies nur eine von vielen Varianten der Relativierung von Auschwitz – der sattsam bekannte rechte und altdeutsche Müll eben.

In der Südosttürkei ist ein brutaler Krieg gegen die PKK und die Zivilbevölkerung im Gange. Über Jahrzehnte wurde dort die Bevölkerung unterdrückt, ihre Sprache verboten, wurden die Kurden mit Zwang in ein türkisches Korsett gepreßt. Und dennoch: In der Türkei gibt es keinen Vernichtungsfeldzug entlang rassischer Kriterien, sondern einen Krieg zwischen sozialen Gruppen. In dem Land kann ein Kurde wie der verstorbene Turgut Özal höchste Staatsämter übernehmen. In Istanbul, Antalya und andernorts leben kurdische Feudalherren ein recht ansehnliches Leben auf Kosten ihrer Abhängigen im Südosten.

„Die Kurden werden in Deutschland kriminalisiert und ihrer kulturellen Identität beraubt“, ist dieser Tage zu hören. Diese Generalanklage der Soliszene ist ebenso blödsinnig wie die Rede von „dem Rauschgift-“ oder dem „Schutzgeldkurden“. Wenn nicht jede Erinnerung und Wahrnehmung trügt, leben seit nunmehr 35 Jahren Hunderttausende Kurden in Deutschland. Und ebendiese Kurden betreiben ihre Kultur- und Elternvereine, „bereichern“ Straßenfeste mit ihren Folkloregruppen. Kurden werden darüber hinaus deutsche Staatsbürger, sitzen als Abgeordnete im Berliner Abgeordnetenhaus. Sind dies Anzeichen eines kulturellen Raubs?

Eine Nachfrage: Steckt hinter der Rede vom „Raub der kulturellen Identität“ womöglich die Gleichsetzung des PKK-Verbots mit dem Verbot des Kurdischen? Oder gar PKKler gleich Kurde? Wenn dem so ist, liebe Soliszene, dann, ja dann, gibt es kein Argument mehr, Heinrich Lummer und anderen (Volks-)Genossen zu widersprechen, die genau Ihrer Auffassung sind – Kurde gleich PKKler. Oder soll mit dem „Raub der kurdischen Identität“ (in Deutschland, wohlgemerkt) der Schaffung von Little Kurdistan in Berlin-Kreuzberg oder dem Frankfurter Gallusviertel das Wort geredet werden? Ein Little Kurdistan neben einem Little Serbia, Little Bosnia und Little Germany? Ethnisch reine Zönchen, frei nach dem Konzept Benoits, des Wortführers der Neuen Rechten und Ethnopluralisten? Ist dies das völkische Programm der Soliszene? Mit welchem Argument soll man dann, bitte schön, dem völkischen Mob in den Arm fallen, der vor noch nicht allzu langer Zeit sein Little Rostock und Little Hoyerswerda forderte, nichts anderes forderte als „Deutschland den Deutschen“?

Und, liebe gute und deutsche Kurden„freunde“, erinnern Sie sich noch, als wir uns gemeinsam über die zögerlichen Reaktionen unserer deutschen Mitbürger empörten? Damals, in den Jahren 1990 ff., als wir gemeinsam gegen die Logik der Neonazis „Nur ein toter Türke ist ein guter Türke“ Sturm liefen. Gibt es plötzlich gute Brandbomben, gute Sprengsätze? Gibt es plötzlich gute brennende und tote Türken? Oder wie ist Ihr peinliches Schweigen angesichts der brennenden Einrichtungen der türkischen Community zu interpretieren?

Die PKK ist keine Heilsarmee. Augenblicklich ist sie eine verbotene Organisation. Über den Sinn des Verbots läßt sich streiten. Und es wird gestritten. Und es wird sich als sinnlos erweisen. Aber solange die Organisation, die nicht nur farbenfrohe Fähnchen schwenkt (hin und wieder, nur zur Erinnerung, wird auch gnadenlos liquidiert), verboten ist, sind Polizisten angehalten, einzuschreiten, wenn sie aufmarschiert. Dieses rechtsstaatliche Prinzip führten zumindest viele von Ihnen ins Feld, als es um die Aufmärsche von (verbotenen) neonazistischen Gruppen in Fulda und Wunsiedel, um das Zurschaustellen (verfassungsfeindlicher) Symbole ging. Mit einer Zeitlücke von quälend langen Jahren und nach massivem gesellschaftlichem Druck lernten die Ordnungshüter, das Gewaltmonopol des Staates durchzusetzen. Und plötzlich sollen sie es wieder lassen?

Manchmal, liebe Soliszene, wünschte ich, wir könnten es auch mal eine Nummer kleiner tun. Beispielsweise mehr Engagement aufbringen, damit die Kinder, die aus dem Kriegsgebiet flüchten, hier eine gute Schul- und Berufsausbildung erhalten. Oder uns einfach – zum Wohle unserer Gesellschaft – für eine kurdisch-deutsch-türkische Versöhnung in diesem Land einsetzen. Eberhard Seidel-Pielen