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Zu Newroz Bonbons statt Kugeln

Die Türkei gibt sich Mühe, das kurdische Neujahrsfest zu vereinnahmen. Die Polizei will Autoreifen zum Verbrennen ausgeben. Die Repression gegen mutmaßliche PKK-Feste bleibt  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Das einst von dem türkischen Staat verfemte Frühlingsfest „Newroz“ – die kurdische Guerillaorganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) mobilisierte anläßlich von Newroz stets zu Protestkundgebungen gegen den türkischen Staat – wird in diesem Jahr amtlich gefeiert. Der türkische Ministerpräsident Mesut Yilmaz wird heute in die ostanatolische Stadt Igdir reisen, um an offiziellen Newroz-Zeremonien teilzunehmen.

Bereits im vergangenen Jahr hatte die damalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller angekündigt, Newroz solle Nationalfeiertag werden. Soweit ist es zwar noch nicht, aber der türkische Staat setzt alles daran, Newroz als „türkisches“ Staatsfest zu etablieren.

Staatspräsident Süleyman Demirel sandte eine Grußbotschaft an ein Symposium in Ankara über „Newroz in der türkischen Welt“, und selbst die Polizei ist in die amtliche Newroz-Euphorie einbezogen. So sagt der Polizeichef von Izmir, Kemal Yazicioglu: „Wir als Polizisten werden den Bürgern helfen, Newroz zu feiern. Wir werden Bonbons verteilen. Wir werden Bürgern, die keine Autoreifen zum Anstecken finden, Reifen zur Verfügung stellen.“

Brennende Autoreifen und PKK-Parolen skandierende Kurden prägten einst das Bild von Newroz in der Türkei. Noch vor wenigen Jahren wurde gegen kurdische Newroz-Feiern rigoros vorgegangen. Blutiger Höhepunkt: Newroz 1992. 94 Menschen starben, als Militär in die Menge kurdischer Zivilisten schoß, deren Feiern als „Aufstandsversuch der PKK“ gewertet wurden.

Nachdem die rigorose Verbotspolitik jahrelang nicht fruchtete, versucht nun der Staat, Newroz als „türkisches Fest“ zu vereinnahmen. Viele mesopotamische und vorderasiatische Völker feiern Newroz. Die Kurden verbinden damit die Legende vom kurdischen Helden Kawa, der den grausamen König Dahok tötete und die Freudesbotschaft durch Feuer verkündete. Für die schiitischen Iraner ist Newroz, das indogermanischen Ursprungs ist und den „neuen Tag“ bezeichnet, der Geburtstag der Propheten Ali. Nun ist Newroz auch türkisches „Staatsfest“.

Eine vergleichbare Politik wird hinsichtlich der kurdischen rot- gelb-grünen Flagge betrieben. Kurden, die Kleidungsstücke in diesen Farben trugen, fanden sich bald in einer Polizeizelle. Das Tragen einer rot-gelb-grünen Kopfkordel im türkischen Parlament wurde der kurdischen Abgeordneten Leyla Zana, die heute im Gefängnis einsitzt, zum Verhängnis. Eifrige Gouverneure in Kurdistan erteilten gar Anweisung, die Farben der Verkehrsampeln zu ändern. Heute entdeckt der „Nationale Sicherheitrat“, ein Gremium, in dem die Spitzen des Staates und des Militärs die Kurdenpolitik abstimmen, daß Rot-Gelb-Grün die Farben der Seldschuken und Osmanen und somit zutiefst türkisch seien. Parallel zu den amtlichen Feiern wurde der Sicherheitsapparat angewiesen, jede Sympathiebekundung für die PKK, die zu Newroz mobilisiert, zu verhindern.

Deutsche Delegationen in Kurdistan behindert

Berlin (taz) – Delegationen aus Deutschland, die auch dieses Jahr zur Beobachtung der Newroz-Feiern in die Kurdengebiete der Türkei gereist sind, sehen sich massiven Behinderungen seitens der türkischen Behörden ausgesetzt. Eine Delegation aus Wiesbaden und Mainz, an der auch MitarbeiterInnen der „Kampagne gegen Rüstungsexport“ aus Idstein teilnehmen, wurde nach Informationen der Gruppe im Grenzgebiet zum Irak von türkischem Militär an der Weiterfahrt gehindert. Ihr Überlandbus wurde zur Umkehr nach Van gezwungen. Die Idsteiner Gruppe hatte wiederholt durch Fotografien belegt, daß aus Deutschland gelieferte Waffen und Militärfahrzeuge in Türkisch- Kurdistan zum Einsatz kommen.

Auch eine Delegation des Frankfurter „Newroz-Koordinationsbüros“ war den türkischen „Sicherheitskräften“ ein Dorn im Auge. Wie es in einer Presseerklärung der Gruppe heißt, wurde die Delegation in ihrem Hotel in Van festgehalten und verhört. Um die Sicherheit der kurdischen Dolmetscherin zu gewährleisten, sei die Delegation nach Istanbul zurückgekehrt.

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