Geheimnisvolle Passion

■ Heute im Dom: die Lukas-Passion eines unbekannten Meisters – beinahe Bach

„Es ist alles wie bei Bach, und es ist alles anders“. Wolfgang Helbichs Einschätzung der Lukas-Passion eines unbekannten Meisters mag widersprüchlich erscheinen – doch sie trifft den Charakter des Werkes. Eine aufregende und verwickelte Geschichte rankt sich um diese Passion, die lange Zeit als Meisterwerk von J.S. Bach galt. Heute abend stellt es das Alsfelder Vokalensemble unter Leitung von Domkantor Helbich im Dom vor.

Womit die nächste Attraktion unter den Bremer Passionsaufführungen der vorösterlichen Zeit naht. Daß diese sehr qualitätvolle Lukas-Passion einmal Bach zugeschrieben wurde, lag lange Zeit sogar nahe. Denn die einzig existierende Handschrift des Werkes ist die des Thomas-Kantors (und seines Sohnes Carl Philipp Emmanuel). Unterstützt wurde dieser äußerliche Tatbestand durch das Urteil des großen Bach-Forschers und Herausgebers der ersten Bachausgabe aus dem 19. Jahrhundert, Philipp Spitta. Der meinte, „einige Arien seien so gehaltvoll und eigenthümlich, daß außer Bach Niemand zu nennen wäre, der sie gemacht haben könnte.“

Durch Stiluntersuchungen dieser Lukas-Passion ist inzwischen aber klar, daß der Komponist eben nicht Bach war. „Es ist einerseits zu fortschrittlich, andererseits zu schlicht, das hat Bach nicht gemacht“, urteilt Wolfgang Helbich.

Damit zählt diese Passion zu den „apokryphen“ Werken Bachs. So werden jene Werke bezeichnet, die unter Bachs Namen laufen, aber nicht von ihm sind – angelehnt an den Begriff der „apokryphen Schriften“ der Bibel, unter denen man die versteht, die in der hebräischen Bibel fehlen, wohl aber in den lateinischen und griechischen Übersetzungen enthalten sind.

Wie aber konnte der Autor eines qualitativ derart hochstehenden Werkes anonym sein oder auch bleiben? Helbich: „Es gab das Autorenbewußtsein ja noch gar nicht. Bach hat einmal seine Matthäus-Passion namenlos nach Süddeutschland ausgeliehen. Vielleicht hat da auch jemand abgeschrieben“. Für die Handschrift Bachs sieht der Dirigent ein weiteres Motiv: „Bach hatte viel Respekt vor anderen Komponisten, er war neugierig, er wollte auch Sachen kennenlernen und in Leipzig anbieten.“

Im Vergleich zu den anderen Passionen von Bach sind beispielsweise die Turbae-(Volks-)Chöre der Lukas-Passion nie fugiert, und es gibt eine Fülle von Chorälen, die eine dramatische Funktion haben im Unterschied zu den reflektierenden der Matthäus- und Johannes-Passion. „Der Komponist wollte ganz sicher seine Hörer direkt erreichen“.

Was erzählt denn Lukas anders als die anderen Evangelisten? „Zum Beispiel ist Pilatus in den Augen Lukas– nicht unbedingt verantwortlich für die Auslieferung Jesu–. Den wollte Herodes schon lange kennenlernen. Diese Episode ist lang ausgebreitet“.

Helbich führt das Stück mit dem Alsfelder Vokalensemble auf, das in diesem Jahr sein 25jähriges Jubiläum feiert. Der Chor wird begleitet vom Barockorchester Bremen, das auf alten Instrumenten spielen wird. Wolgang Helbich verspricht: „Es wird sehr schön. Je mehr ich an dem Werk arbeite, desto toller wird es. Es hat eine klare Diktion und ist ungemein kurzweilig“. Ute Schalz-Laurenze

Heute abend um 20 Uhr im Bremer Dom: Johann Sebastian Bach, „apokryphe“ Lukas-Passion. Alsfelder Vokalensemble, Barockorchester Bremen, Leitung: Wolfgang Helbich