piwik no script img

SanssouciVorschlag

■ Waffe Kunst: „Bauern! Bonzen! Bitterfeld!“ in der Kalkscheune

Zu seiner ersten Inszenierung lädt das „Blaue Theater“, das aus dem Frauentheaterprojekt „Chance GmbH“ hervorgegangen ist, dieser Tage in die Kalkscheune ein. Die Kalkscheune ist eine stillgelegte Industriehalle direkt hinter dem einstigen Vorzeigebau der sozialistischen Unterhaltungskunst, dem Friedrichstadtpalast. Sinnfälliger könnte der Kontrast nicht sein. Während 50 Meter weiter aufwendige Bühnentechnik rangiert wird, riecht die Kalkscheune immer noch nach Maschinenöl.

„Bauern! Bonzen! Bitterfeld!“ heißt die Inszenierung der Theatergruppe, in der fünf Schauspielerinnen und eine Musikerin die „Höhen der Kultur erstürmen“, wie es zu DDR-Zeiten geheißen hätte. In einer Collage von Pionierliedern, Texten von schreibenden Arbeitern, Auszügen aus Brigadetagebüchern und Propagandalosungen aus den fünfziger und sechziger Jahren entsteht das Bild einer Gesellschaft, die sich Großes von der Kunst erhoffte. „Schmiedet literarische Nahkampfwaffen“, lautet einer der zehn „Ratschläge an die schreibenden Arbeiter“ und ein anderer: „Schreibt nicht alles gleich an die großen Zeitungen in Berlin“. 1959 riefen die Autoren des Mitteldeutschen Verlages auf der „1. Bitterfelder Konferenz“ unter der Losung „Kumpel greif zur Feder“ zu einer literarischen Massenbewegung auf, die unter der Kontrolle von Staat und Partei gedeihen sollte. Überall in den Betrieben bildeten sich „Zirkel schreibender Arbeiter“, oftmals von professionellen Schreibern angeleitet.

In der Inszenierung des Blauen Theaters geht es nicht darum, literarische Schätze aus dieser Zeit zu heben. Vielmehr werden Texte präsentiert, die das Naive, vordergründig Pädagogische als Teil jenes Kulturverständnisses in Erinnerung rufen, das in abgeschwächter Form bis 1989 präsent blieb: „Sing Dir ein Lied, schreib ein Gedicht / Die Waffe Kunst hat ein Gewicht“ reimt ein Volkskünstler. Die Inszenierung des Blauen Theaters geht mit einer modischen Verwurstung der DDR-Geschichte einher: Ostpartys allerorten, DDR-Spiele, DDR-Kneipen, FDJ-Symbole als neue Popart-Ikonen usw. Ostalgie kann man den Frauen vom Blauen Theater jedoch nicht vorwerfen. Die Inszenierung hat den Kontrast zur Gegenwart mit eingebaut: Immer dann, wenn es nostalgisch zu werden droht, platzt der Anruf eines Discogängers störend hinein, der seine Teenie-Sorgen auf den Anrufbeantworter spricht. Das alles ist nicht besonders tiefsinnig, aber es ist gut gespielt, gut gesungen und somit das, was Theater auch sein kann: Unterhaltung. Peter Walther

Weitere Vorstellungen: Sa., 23.3., und 27.–30.3., jeweils 21 Uhr, Kalkscheune, Johannisstraße 2, Mitte. Telefon: 2823797

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen