Stiefmütterchen beim Sehtest

In der Reihe „Sie zum Beispiel“ zeigen Arsenal und Babylon Mitte Christine Noll Brinckmanns Porträts von „Fater“, Karola und anderen Personen sowie Elda Tattolis „Der Planet Venus“  ■ Von Gudrun Holz

In südlichen Gefilden steht ein junges Mädchen mit braven Zöpfen unter einem Baum. Daneben ein paar Männer mit Bärten. Lassalle-Bärten, Marx-Bärten, Engels-Bärten, sogar einer mit Stalin- Bart. Das Mädchen lauscht ergeben, während sich die netten älteren Herren parlierend in einem idyllischen Hain ergehen. Mit dieser kurzen Szene aus ihrem Film „Der Planet Venus“ (1972) bebildert die Italienerin Elda Tattoli unmißverständlich ihre Sicht der „Frauenfrage“. Sie erzählt die Geschichte einer jungen Frau im Italien der 50er Jahre. Die Studentin Amelia heiratet einen Kommunisten, dem sie nicht nur Geliebte und Sekretärin ist, sondern dem sie buchstäblich ein Auge opfert, denn ihr kriegsverwundeter Gatte Matteo droht zu erblinden. Allein, die altruistische Tat erlaubt ihm weder zu „sehen“, wie sehr er sich in den Kaderkommunismus stalinistischer Prägung verrannt hat, noch die inferiore Situation der eigenen Frau zu erkennen.

Mit ironischer Schärfe und ästhetischer Strenge beschreibt Tattoli die Atmosphäre damaliger Diskutierzirkel und das Gebaren der neobourgeoisen Linken. Als Amelia schließlich ihren Matteo verläßt, geschieht dies mit einer kalten Ruhe und Konsequenz, die an die autodestruktiven Implosionen im Werk der deutschen Zeitgenossin Bachmann erinnern.

Tattolis Film, nach dem Planeten benannt, der hier symbolisch ums männliche Zentralgestirn kreist, zeigen Arsenal und Babylon Mitte in der Reihe „Sie zum Beispiel“, zusammen mit Filmen von Christine Noll Brinckmann. „Planet der Venus“, „den wir Anfang der Siebziger heftig diskutierten“, wird sie selbst vorstellen.

Christine Noll Brinckmanns Filme sind zum größten Teil stumm oder mit sparsamer Musik unterlegt — Untersuchungen über Orte, Symbole, Materialien. Schon ihr erster Kurzfilm „West Village Meat Market“ (1979), ist alles andere als eine blutrünstige Dokumentation vom Schlachthof. In Schwarzweiß gedreht, wirkt das später eingesetzte Rot reichlich abstrakt. Diese scheinbare Distanz zu ihren Motiven ist ein Merkmal der Filmemacherin.

In „Stief“ geht es um das „stillste aller Blümchen“, das Stiefmütterchen. Abseits vom floralen Bombast einer Georgia O'Keefe, nutzt Brinckmann ihre Blumenschau als künstlerische Grundsatzerklärung. Im Mittelpunkt steht deshalb die Rhythmik der Filmschnitte und der Einsatz der Farben: ein filmischer Sehtest.

Drei weitere Filme, „Dress Rehearsal/Karola 2“ (1980), „Fater“ (1986) und „Empathie und panische Angst“ (1989) sind dokumentierende Annäherungen an sehr unterschiedliche Personen. Während im ersten Film die mutmaßlich lesbische Hauptperson ihren persönlichen Stil durch Kleidung – vom Höschen bis zur Krawatte – zeigt und von Brinckmann subtil porträtiert wird, ist „Fater“ eine Reise in die Vergangenheit. Der aus Amateurfilmen von Kurt Noll, des „Faters“ von Brinckmann, bestehende Film erhält seine Aussage durch die Form der Montage, mit der die Filmemacherin das teils selbstherrliche, manchmal exotisierende Material analysiert. 1937 in China geboren, sucht sie einerseits die Verbindung zu dem Mann, der als Arzt in Asien arbeitete, blendet andererseits aber Autobiographisches aus.

Wichtig ist nicht das kleine Mädchen, das kregel durchs Bild tobt, sondern die Brisanz des Vater-Tochter-Verhältnisses, ob nun im persönlichen oder im politischen Kontext. Von daher macht es Sinn, Brinckmanns filmische Exkursionen im Kontext des feministischen Kunst-Kinos Elda Tattolis zu zeigen.

Babylon Mitte und Arsenal.

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