■ „Focus“ plappert über den homosexuellen Mann
: Mit Veuve Cliquot ab ins Nirwana

„Leben Schwule besser?“ fragt Focus in dieser Woche. Besser als Lesben? Als Heteros? Oder als Zierfische? Ob hier Äpfel mit Birnen verglichen werden oder mit Luft, darüber schweigt sich die Illustrierte aus. Statt dessen liefert sie Fakten, die so wackelig daherkommen, wie Chou Chou de Briquette auf ihren High Heels, Größe 44.

Die Zahlen, mit denen Focus operiert, sind so dubios wie ihre Herkunft und ihre Aussagen. Damit wird aber das Bild einer schwulen „Elite“ gezimmert, wie es kein Soap-opera-Drehbuch besser könnte: Mit einem Glas Veuve Cliquot in der manikürten Hand residiert die einstmals gebeutelte Minderheit im ausgehenden Jahrtausend „im wohlkomponierten Ambiente aus klassischer Moderne mit etwas Biedermeier, etwas Empire-Stil“ und zerbricht sich das gestylte Köpfchen darüber, wo die nächste Calvin-Klein-Boutique steht und wann der nächste Flieger nach Key West abdüst. Derart hin- und hergerissen zwischen Edelmarken und einem prallen Geldbeutel, bleibt kaum noch Zeit für die nächste Party, den verbliebenen Koordinaten der „selbstbewußten, spaß- und konsumorientierten Homosexuellen unter 40“.

Das Zahlenwerk als Beleg liefert kein Soziologe, dafür muß eine Werbeagentur ran. Die hatte dereinst im Auftrag zweier Homo- Hochglanzmagazine deren Leserschaft befragt, um Daten für potente Werbekunden zu ermitteln. 2.000 von denen, die sich die 15-Mark-Blätter monatlich leisten können, ergeben das Sample für die schöne, neue Welt: 49 Prozent von ihnen „haben ein Haushaltseinkommen von über 5.000 Mark netto“, 42 Prozent gehen gerne „shoppen“, 61 Prozent haben Abitur beziehungsweise einen Uni- Abschluß. That's it! Geld ist da, das richtige Freizeitverhalten und viel Niveau. Natürlich weiß niemand, wie viele Schwule wirklich hierzulande leben. So steht jedoch die zahlungskräftige Minderheit der Minderheit plötzlich für alle da, und längt vergessen ist der Slogan der einstigen Schwulenbewegung „Wir sind überall!“ Denn: „Viele Homosexuelle arbeiten in Kreativberufen“, weiß Focus.

Die Schwulen selbst werden sich freuen über den Elite-Cocktail: Nach den mageren Jahrzehnten als Kriminelle, Sexmonster und Infektionsrisiko sind sie endlich auf der Sonnenseite des Lebens angekommen. Es macht Sinn, sie bei ihrer Eitelkeit zu packen und ihrem unbedingten Willen zum Aufstieg in die Klasse der Schönen und Reichen. Nirgends sonst lassen sich die Wunden besser lecken, und nirgends besser läßt sich der Verstand vernebeln. Und man fragt sich, warum sie vielerorts noch immer auf der Matte stehen und Staatsknete einfordern für ihre Beratungs-, Begegnungs- und sonstigen Zentren. Wo soviel Eigenkapital im Umlauf sein soll, lassen sich doch sicher die paar Mark für ein bißchen Lebenshilfe auch noch selbst aufbringen.

Der einzige, der in dem ganzen Focus-Lifestyleelitetrendgeplapper seine fünf Sinne beisammenhält, ist Tomas Niederbühl, schwuler Stadtrat in München: „Vor allem müssen wir begreifen, daß wir es immer noch mit Duldung zu tun haben – und daß diese jederzeit wieder zu Ende sein kann.“ Doch gehen diese Kassandrarufe unter in der Focus-Story, die nur eines zum Ziel hat: die Schwulen verschwinden zu lassen. Denn „ganz normal schwul“ steht da am Schluß, und es wird einer zitiert, dem die sexuelle Orientierung doch nicht mehr so wichtig sei, der fast nie schwul ausgeht und der „diese Homo-Lederkneipen“ nur vom Hörensagen kennt. Dahin geht der Trend, und noch ein paar Jahre weiter, und man kennt „diese“ Schwulen nicht einmal mehr vom Hörensagen. Elmar Kraushaar