Nacht ohne Wunder

Das Halbfinale der Champions League findet nach Dortmunds 0:1 bei Ajax ohne die Borussia statt  ■ Von Bernd Müllender

Amsterdam (taz) – Vorher sah alles sehr gut aus: Kalle Riedle, der Anfang der Woche einen Einsatz noch ausgeschlossen hatte, meldete sich fit für den Rasendienst. Jürgen Kohler zeigte ein Höchstmaß an Entschlossenheit schon im Abschlußtraining, als er Heiko Herrlich grätschend an die Fußwerkzeuge ging: Bänderriß. Und: War es nicht eine medizinische Sensation, daß Andreas Möller nur 14 Tage nach einer Knieoperation zur Rolle des Phantoms bereitstand, das das Wunder ermöglichen sollte nach dem schmählichen 0:2 im Hinspiel? Selbst Berti Vogts warf seinen gesamten Fußballsachverstand in die Waagschale: „Niederländische Teams haben einen Riesenrespekt vor Möller. Mit dem kommen sie nicht zurecht.“

Vorher war auch klar, daß Sammer, Reuter, Berger fehlten – na und! Bei Ajax waren sechs Stars nicht dabei. Großes Gelächter bei den Mannschaftsaufstellungen: Selbst die eigenen Fans kannten die Auswechselspieler nicht, skandierten zehntausendkehlig einmal den falschen Namen. Und: Hatte Ajax, diese angebliche Übermannschaft, zuletzt nicht mehrfach blamabel gepatzt: Niederlagen in der Liga, zeitweiliger Verlust der Tabellenführung, Pokalaus gegen einen Zweitligisten aus Friesland, am Sonntag nur glücklich 0:0? Nachher war Borussias Übungsleiter Ottmar Hitzfeld richtig gut gelaunt, wie befreit lachte er bei der Pressekonferenz. „Disziplin, Willen und Ehrheiz“ hätten gestimmt, der BVB habe Ajax kaum eine Torchance gelassen.

Vorher wurde die große Fußballoper eindrucksvoll arrangiert. Amsterdams Fans wurden mit der ganzen Bandbreite musikalischer Variationen in Stimmung gebracht: Ajax- Calypso, Ajax-Walzer, Ajax-Humbtata. Dazu ein Meer rot-weißer Winkelemente aus Plastik, swingende 45.000 im verrottenden „Olympisch Stadion“ von 1928, daß man Angst haben mußte, „Kegelbaan und Sozietät“ unter der morschen Ehrentribüne würden dieser Euphorie nicht standhalten können.

Nachher sagte Andreas Möller, man habe „einige Akzente setzen können“. Und Michael Zorc bemühte noch einmal das große Wort vom Fußballwunder. Hitzfeld stolz: Der BVB hatte sich ja auch „sehr viel vorgenommen“. Und Ajax sei zeitweise „sehr nervös gewesen“.

Vorher hatte auch die UEFA ihr Millionenliga-Spektakel bombastisch inszeniert: Tanzeinlage um den Mittelkreis, die schwülstige Liga-Hymne donnernd durchs Rund geschickt. Und daß die Fotografen, wegen zu knapp geschnittener Champions-League- Werbeleibchen alle wie Michelin- Männlein herumstolzierten, sorgte für besonderen Charme. „Wir wollen“, heizte der Stadionsprecher alle ein, „jetzt die Crème de la Crème des europäischen Spitzenfußballs genießen.“ Auch die westfälische Viertausendschaft aus Werdohl, Bergkamen, Strickherdicke und sogar die „BVB-Fans Gelsenkirchen“ fühlten sich angesprochen und winkten heftig mit den rund fünf mitgereisten Plastikbananen in Gelb-Schwarz.

Nachher hatte Andreas Möller (eingewechselt nach 61 Minuten) 16 Ballkontakte gehabt, nur ganze zwei Fehlpässe gespielt, sogar beide Kopfballduelle gewonnen, war an einer von insgesamt drei Dortmunder Eckbällen beteiligt, hatte zweimal gefoult und zweimal den Schiedsrichter getätschelt. Wenn man sein elegantes Dribbeln auf der Stelle aus der 70. Minute mit anschließendem Solo einzeln rechnet, waren es sogar über zwei Dutzend Ballkontakte.

Vorher waren alle sehr optimistisch. Nachher auch. Ottmar Hitzfeld erkannte „eine gute Basis, auf die man aufbauen“ könne. Dazwischen lag ein Fußballspiel. Es endete 1:0 für Ajax. Dortmund hatte mehrfach beinahe eine Torchance. Ansonsten: Rasenschach. Sicherheitsfußball. Ganz wenige Höhepunkte. Taktische Fallstricke nöcher und am nöchersten. Ajax als Perfektionist in Spielkontrolle. Souveräne Pässe im Dutzend über den halben Platz – zurück zum Torwart. Kein Aufbäumen, keine Kreativität. Ajax-Coach Louis van Gaal verkniff sich alle Höflichkeitsfloskeln und meinte nur: „Wir wußten, daß Dortmund Schwierigkeiten hat auf kleinem Raum.“ Also spielten sie provozierend kleinräumig, Kurzpässe, Direktspiel, manchmal hin, meistens her im Mittelfeld.

Vor allem blieb der BVB merkwürdig emotionslos. „Deutsche Fußballkultur“ hatte Berti Vogts noch auf den Weg gegeben, werde immer „durch Kampf und Einsatz“ bestimmt sein. Aber wo war der bedingungslose Kampf? Kulturarmut über 90 Minuten: Dortmund spielte wie vorab resigniert, verzagt, benommen, gehemmt, ohne letzte Leidenschaft. Große Verwunderung bei den Gastgebern: So wenig Wollen bei Dortmund. Kaum was gezeigt. Die sind Erster in der großen Bundesliga?

Das große Spiel: Immerhin nur 0:1 gegen eine, so Hitzfeld, „perfekte, die beste Mannschaft der Welt“, fast sogar 0:0. Keine Blamage, wie viele vorher fürchteten – alles noch mal gutgegangen. Da paßte es nur zu gut, daß das Team noch vor Mitternacht wieder im Bus gen Heimat saß und nicht, wie vorab geplant, über Nacht in Amsterdam blieb. Möglichst schnell weg. Abhaken. Vergessen. Nachher ist vorher – die Bundesliga wartet. Noch einmal Hitzfeld: „Wir haben uns gut aus der Affäre gezogen.“ Und: „Alles andere hat keinen Sinn mehr, darüber zu sprechen.“

Einverstanden!

Borussia Dortmund: Klos - Kohler, Cesar, Kree - Wolters (61. Möller), Freund, Ricken, Zorc, Tretschok (62. Reinhardt) - Riedle, Chapuisat (79. Sosa)

Zuschauer: 45.000; Tor: 1:0 Musampa (75.)

Ajax Amsterdam: Van der Sar - Silooj, Frank de Boer, Bogarde - Scholten, Litmanen (87. Landzaat), Davids, Musampa - Wooter, Kanu, Ronald de Boer