Fuck-you-ich-mach-es-selbst!

Jetzt auch in deutschen Konzerthallen: Bikini Kill und Team Dresch, Grrrl-Bands, die ihrem Namen Ehre machen. Wo, bitte, geht es hier zum Mädchenaufstand? Aus dem Feminismus-Seminar zu kommen fühlt sich jedenfalls anders an  ■ Von Heike Blümner

Gilt immer noch: Männer haben es leichter mit ihrem Entwicklungsroman. Es gibt die Gitarre, den Sampler, die Plattensammlung. Es gibt die alten Spex-Ausgaben: heilig, heilig, heilig. Von Abba zur Einschulung bis hin zu Aphex Twin und zur Magisterarbeit hat man es nachweislich zu etwas gebracht. Und leicht war das alles nicht, denn dazwischen lagen Durststrecken und Abnabelungsprozesse – zum Beispiel vom Papi Rockmusik oder dem Schmuddel- Schulfreund Punk.

Ja, und dann gibt es noch die Mädchen. Mit denen kann man knutschen und schon auch reden, aber irgendwie anders. Einige von ihnen haben sogar richtig viele Platten, aber die stellen sie dann so hin, daß sie verbiegen. Wie soll man sich da verständigen? Irgendwie sind sie dann auch selbst schuld, wenn das alles nicht richtig klappt.

Lach nicht, weißer Junge – stirb!

„Ich glaube, die meisten Mädchen fordern Dinge einfach heraus“, erzählt ein Typ zu Beginn der Bikini- Kill-EP „Yeah, Yeah, Yeah, Yeah“. „Aha“, entgegnet Sängerin Kathleen Hanna, „wodurch fordern sie es denn heraus?“ – „Na ja, so, wie sie sich benehmen eben“, erwidert der Typ. „Ich will nicht sagen, daß es etwas damit zu tun hat, wie sie sich anziehen. Das ist ja ihre persönliche Wahl“, fügt er hinzu.

Hier bricht das Gespräch ab. Genug geredet! Jetzt folgt Gesang: „I'm so sorry if I'm alienating you. Your whole fucking culture alienates me ... White boy! Don't laugh, don't cry, just die.“

Schön, oder? Schließlich mußten wir ja selbst jahrelang die Phantasien männlich-progressiver Combos ertragen: vom Lonesome Cowboy Jim Morrison, der eigentlich nur zurück zu Mami wollte, über die Mörder-Balladen eines Nick Cave bis hin zu den Texten der Smiths, wo immerfort hübschen Mädchen Gräber graben.

Angry Young Women im Internet

Genug davon, dachten sich auch nicht wenige junge Frauen in den USA. Ja, die Rede ist mal wieder von den Riot Grrrls – auch wenn sie hierzulande von den Medien eher als Zirkusnummer gehandelt wurden. Anders in den USA: Einmal zum Stichwort Riot Grrrl durchs Internet gesurft, zeigt sich der Europäerin das ungefähre Ausmaß von wütenden jungen Frauen in Aktion. Persönliche Homepage-Vernetzung von Alaska bis Florida, unzählige Minimal-Fanzines mit so schönen Namen wie Catherine's Hair, Slut Utopie oder auch, etwas rührender, Patti Smith.

Zu lesen gibt es Artikel über so ziemlich alles, was Spaß macht, ernst ist, oder beides: persönliche Reiseberichte nach New York, was gegen langweilige Parties zu unternehmen ist, Frauen und Popkultur, Selbstverteidigung oder, noch expliziter, junge Mädchen über große Brüste oder ihre Angst vor Schwänzen.

Themenvorgaben oder Essentials gibt es nicht: Die Tatsache, daß Mädchen und Frauen etwas machen, das einzige Bewertungskriterium. Schreiben, Musikmachen, Treffen organisieren, kurz: Sachen machen, ohne den Blick auf den Freund und auch ohne den Blick auf die tatsächliche Wirksamkeit oder den Einfluß solcher Aktionen: „Bei Grrrl Power geht es nicht darum, was Jungens davon halten; Grrrl Power bedeutet, sich die Freiräume zu schaffen, die wir brauchen, inklusive unterstützender Jungens, wenn wir sie brauchen – aber das ist dann unsere Wahl“, schreibt ein Grrrl namens Jodie auf ihrer Homepage.

Und die Grrrls haben ihre Ikonen. Zwar kommt es einem so vor, als befänden sich im Internet liebevolle Kurzbeschreibungen von so ziemlich jeder High-School-Göre, die je ein Instrument in einer Band spielte, diese orientieren sich allerdings trotz des Do-it-yourself-Ethos insbesondere an jener Band, die die Fuck-you-ich-mache-es- jetzt-selbst-Haltung am spektakulärsten herausschreit: Bikini Kill mit ihrer Frontfrau Kathleen Hanna.

Revolution in den Hüften

Wie die meisten feministischen Neopunk-Bands sind Bikini Kill nicht das Resultat tiefschürfender Diskussionen, sondern realer Erfahrungen. Zunächst trafen sich Kathi Wilcox, Tobi Vail, Kathleen Hanna und Billy Karen (ja, ein Junge, und er kann sogar ziemlich gut Gitarre spielen) 1989 in Olympia, einer mittleren Collegestadt südlich von, wie sollte es anders sein, Seattle. Natürlich hatten alle schon in diversen Bands gespielt; man traf sich zu einem Zeitpunkt, wo, wie Bassistin Kathi es ausdrückt, alle „energiemäßig gelangweilt“ waren, obwohl Grunge gerade unaufhaltsam seinem Höhepunkt entgegenwaberte.

Musikalisch haben Bikini Kill dem nicht wirklich etwas entgegenzusetzen – ein bißchen mehr Punk-Geschwindigkeit, ein bißchen poppiger das Ganze, dazu die hohe, wütende, aber dennoch melodiöse Stimme von Kathleen Hanna – aber darum geht es zur Abwechslung auch gar nicht. Hanna rotzt gnadenlos die Erlebnisse vieler junger Mädchen heraus.

Es ist eben ein scheiß Gefühl, sich in einer Szene aufzuhalten, die sich selbst als „Punk“, das heißt als irgendwie anarchisch, antihierarchisch und antirassistisch, also progressiv definiert, in der aber dennoch Mädchen eher als schmückendes Beiwerk bzw. Freundin ge

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sehen werden, als daß sie tatsächlich selbstverständlich und aktiv dabei sind, und zwar bei allem.

Natürlich sind die Texte, die dabei herauskommen, nicht nett, im Gegenteil, und vielleicht sind sie auch nicht „gerecht“, aber das ist gut so, denn schließlich geht es bei Punk darum, keine Rücksicht zu nehmen. Am Ende kommen dabei hoffentlich viele „Rebel Girls“ heraus, wie Hanna sie schön verkitscht in ihrem gleichnamigen Stück besingt. „When she walks, the revolution's coming in her hips there's revolution, when she talks there's revolution...“

Nichts zu Feminismus oder Politik!

Von den Weiten des Internets, dem Begutachten von Kathleen- Hanna-Texten und Fanzines zurück an den heimischen Herd, nach Bremen, das auf der Riot-Grrrl- Landkarte wohl eher ein weißer Fleck ist. Wo bitte geht es hier zum Mädchenaufstand?

Bikini Kill treten zusammen mit der lesbischen Punkband Team Dresch aus Portland/Oregon in der Stadt auf. Team Dresch, was sich für deutsche Ohren eigentlich nach Gruppenkeile anhört, haben sich in Wirklichkeit nach ihrer Gitarristin Donna Dresch benannt. Sie ist die Betreiberin des Frauen-Labels „Chainsaw“ und spielte sich unter anderem durch diverse Grunge- Promi-Bands von Dinosaurier Jr. bis Screaming Trees.

Angeregt durch die Schwestern im Netz kann ich mich kaum noch dem Kribbeln entziehen, vielleicht heute abend Zeugin zumindest eines Mini-Riots zu werden. Doch, o Schreck: Zum Soundcheck erscheinen nur ein paar müde, enervierte Gestalten, die lieblos ihre Instrumente überprüfen.

Zum anschließenden Interview schleppen sich abwechselnd Mitglieder von Bikini Kill und Team Dresch zu mir herüber, die alle von vorneherein klarstellen: „Bitte keine stressigen Fragen, vor allem nicht zu den Themen Feminismus und Politik.“ Und daußerdem sei Bikini Kill keine Riot-Grrrl-Band, fügt Kathi Wilcox hinzu. Schließlich gebe es sie schon viel länger als die Riot-Grrrl-Bewegung.

Über die Dörfer in Europa

Auf meinen nüchternen Einwand, daß eine gewisse Verbindung wohl schwer zu leugnen sei, man brauche ja nur ins Internet zu schauen, sagt Kathi Wilcox: „Wir können nicht bestreiten, daß gerade unsere Texte viele Mädchen inspirieren, aber wir sind nicht politisch aktiv, wir machen Musik.“ – „Ich fühle mich unbedingt als Aktivistin“, ergänzt Donna Dresch. „Auch unsere Musik und Texte sind nur deshalb subversiv, weil sie Liebeslieder über Frauen sind, aber das hat nur etwas mit dem Blick der Gesellschaft auf uns zu tun, denn für uns ist das vollkommen normal.“

Keine weiteren Fragen, denn noch bevor ich Luft geholt habe, setzt eine mitleiderregende Litanei über die aufreibenden Tourbedingungen ein. Innerhalb von zwei Monaten soll so ziemlich jedes Kaff in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Teilen von Italien bespielt werden. Kaum freie Tage, zu neun Leuten in einem kleinen Bus, Übernachtung meist in besetzten Häusern, immer in der Gruppe. Schon während der ersten Gigs macht sich Heimweh breit.

Zweiter Versuch beim Gitarristen von Bikini Kill. Gäbe es einen Wettbewerb zur Ermittlung des Mr. Grunge, Billy Karen würde glamourös den ersten Platz belegen: Die Haare lang und strähnig, die Klamotten schmuddelig, dazu adäquate Turnschuhe – fast schon nostalgisch, seine Erscheinung, aber er ist in der Ablehnung bestimmter Themen nicht so rigoros wie seine Bandkolleginnen, außerdem lacht er sehr freundlich.

Gegen blödes Posertum

Das Label, auf dem Bikini Kill erscheint, heißt „Kill Rock Stars“. Ich frage Billy Karen, welche Rockstars denn seiner Meinung nach den Tod verdient hätten. Etwas verschämt antwortet er: „Na ja, es ist eigentlich nur ein Slogan, wobei, Bon Jovi zum Beispiel, da könnte man es sich glatt überlegen.“ Dann erzählt er, daß er vor kurzem erst in Verlegenheit geraten sei, als ein Fan von Bikini Kill sich in ihrem Büro über den Namen „Kill Rock Stars“ beschwerte; sie war John-Lennon-Fan.

Doch eigentlich ist ja auch klar, was gemeint ist: Gegen blödes Posertum, gegen doofe „wir Männer gegen den Rest der Welt“-Attitüden, kurz, gegen alles, was an der Coolness von Rockstars nervt, und für alles, was am Coolsein geil ist: Schlau, sexy, lustig, provokativ, einfallsreich, offen... die Liste ließe sich endlos fortsetzen, doch je mehr hinzugefügt wird, desto weniger Musiker fallen mir ein, die diese Kriterien überhaupt noch erfüllen.

Team Dresch, die als erste an diesem Abend spielen, schaffen es, alle Befürchtungen, die allgemein schwindende Konstitution könnte sich auch auf den eigentlichen Gig auswirken, beiseite zu rocken. Mehr, sie lassen während ihrer Show alle oben genannten Kriterien lebendig werden. Eine der unglaublichsten Drummerinnen, die ich je gesehen habe, trifft auf zwei kraftvolle Gitarren, den Baß und zwei Sängerinnen, die eine mit zarter, die andere mit kräftiger Stimme.

Mit Leichtigkeit und voller Spaß harten Sound zu spielen, das ist cool – eben kein blödes Pathos. Zum Schluß noch die Frage von Donna Dresch an das Publikum: „Hey, wir haben gehört, daß man in Berlin nicht lesbisch sein kann, wenn man lange Haare hat, stimmt das?“ Vielleicht ein bißchen, auf jeden Fall ist es kein Problem, wenn man ein Junge und schwul ist.

Wut als Message, Sweetness als Rache

Bikini Kill sind anders. „Kill Rock Stars“ heißt zum Glück nur ihr Label, denn Kathleen Hanna hat eindeutige Star-Qualitäten. Zwar wechselt sie sich mit Drummerin Tobi Vail beim Gesang ab, während Gitarrist Billy Karen fast hinter den Boxen verschwindet und Bassistin Kathi Wilcox mit ruhiger Eleganz den Baß zupft, aber Kathleen Hanna schmeißt die Show: Die Konzerte von Bikini Kill sind von ihr selbst choreographiert. Wut als Message, Sweetness als Rache und sexy Hüftschwung als Ausdruck eindeutiger Unerreichbarkeit.

Wenn sie sagt, sie sei sieben Jahre Stripperin gewesen, so ist das zwar ein bißchen posig, und selbst in Bremen wird davon niemand mehr blaß, aber vielleicht gehört das ja auch dazu und mußte einfach noch mal gesagt werden.

Was nehmen wir also mit nach Hause? Aus dem Feminismus-Seminar zu kommen fühlt sich jedenfalls anders an. Bei Bikini Kill und Team Dresch gibt es weniger Erklärungen, dafür Ideen, Kicks, und ich bin sicher, daß alle potentiellen Grrrls für mindestens zwei Stunden Lust verspürt haben, das, was ihnen gemeinhin als ihr Schicksal verkauft wird, selbst in die Hand zu nehmen. Nehmt eure jüngeren Geschwister mit!

Tourneedaten: 22.3. Berlin, 23.3. Baden-Baden, 24.3. Karlsruhe, 26.3. Ulm, 27.3. Zürich, 28.3. Wangen, 29.3. Basel, 30.3. Bern, 31.3. Genf, 2.4. Turin, 3.4. Padua, 4.4. Bologna, 5.4. Florenz, 6.4. Mailand, 8.4. Montpellier, 9.4. Lyon, 10.4. Paris, 11.4. Groningen, 12.–14.4. Holland, 16.4. London, 17.4. Newcastle, 18.4. Glasgow, 19.4. Belfast, 20.4. Dublin, 22.4. Oxford, 23.4. Brighton, 24.4. Brüssel, 24.-26.4. BRD, 27.4. Rom