Angst vor der Fusion

■ Berlin-Brandenburg auch ohne Urteil auf Abwegen

Das Brandenburger Verfassungsgericht hat die Klage der PDS gegen den Fusionsstaatsvertrag abgewiesen. Alles andere wäre, fünf Wochen vor der Volksabstimmung, eine Überraschung gewesen. Berlins Regierender Eberhard Diepgen (CDU) kommentierte den gescheiterten Versuch der PDS, als habe es sich um einen kalten Staatsstreich gehandelt. Mit „juristischen Finessen“ habe die Partei die „einmalige Chance für Berlin und Brandenburg zu Fall bringen wollen“.

Abgesehen davon, daß es das gute Recht jeder Partei ist, solch ein parlamentarisch verabschiedetes Vertragswerk überprüfen zu lassen, verweist Diepgens Kommentar auf ein ganz anderes Problem. Es sind nämlich nicht „juristische Finessen“, die die Fusion bedrohen. Diese waren der Bevölkerung bis gestern nämlich so unbekannt und gleichgültig wie der Text des Staatsvertrages an sich. Weitaus stärker ist das Projekt von innen heraus bedroht. Mehr noch als die lustlos betriebene Werbekampagne beider Regierungen, die auch als Anzeichen für den Unwillen der Verwaltungen interpretiert werden kann, könnte die desolate Wirtschafts- und Haushaltslage die Fusion unter sich begraben. Berlin ist hoffnungslos verschuldet, Brandenburg auf dem besten Wege dahin.

Hinzu kommt eine Stimmungslage, die selbst die PDS propagandistisch nicht überzeichnen mußte und die sich aus der öffentlichen Debatte um den sogenannten Standort Deutschland speist. Tagtäglich zieht sie den Befürwortern ein Stück Boden mehr unter den Füßen weg. Der Hoffnung auf mehr Investitionen und Arbeitsplätze in einem Sechs-Millionen-Land steht die politische Hilflosigkeit allerorten gegenüber, sei es nun bei der Werftenkrise oder beim Bündnis für Arbeit. Parallel zum Meinungsumschwung gewinnen die Kräfte der Beharrung. Symptomatisch ist die jüngste Drohung der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes, sich von der Pro-Fusion-Linie des DGB abzuwenden.

Das gestrige Urteil, so sehr es die Befürworter auch feiern, beseitigt nur eine von vielen Unwägbarkeiten auf dem Weg zur Fusion. Eine Gemeinsamkeit aber scheint, unabhängig von allen rationalen Argumenten, stetig zu wachsen: die länderübergreifende Angst vor der Fusion. Dagegen hilft auch kein Gerichtsurteil. Severin Weiland