„Wenn Hamburg brennt“

■ Rote Fahnen über Blohm & Voss: Ein Arbeiteraufstand, 30 Tote und die Legende von der „Märzaktion“ der KPD 1921 Von Kay Dohnke

„Wetterleuchten“ hieß im März 1921 der Fortsetzungsroman des Hamburger Fremdenblattes – und es wetterleuchtete kräftig, an der Elbe und anderswo. Streiks im mitteldeutschen Kohlerevier ermutigten auch die Sektion Hamburg der Kommunistischen Internationale: „Beschafft euch Waffen! Tretet sofort in den Generalstreik!“ forderte die Volkszeitung. Es galt, die ersehnte Räterepublik zu schaffen; eine Massenkundgebung am 23. März, heute vor 65 Jahren, auf dem Heiligengeistfeld sollte den Auftakt bilden – auch wenn SPD und Gewerkschaften ihren Mitgliedern dringend von der Teilnahme abrieten.

Am Morgen jenes Tages begaben sich mehrere Hundert Arbeitslose zu Blohm & Voss und auf die Vulkanwerft und verlangten sofortige Einstellung. Gemeinsam mit den dort Beschäftigten, so der Plan, sollten sie die Betriebe übernehmen – was anfangs auch zu klappen schien. Nach einer solidarischen Arbeitsniederlegung wurden die Werften besetzt und rote Fahnen gehißt. Doch die Polizei, durch Spitzel von den Aktionen informiert, riegelte die Werksgelände ab, um die Aufständischen auszuhungern.

Während das Rathaus zum Schutz der zeitgleich stattfindenden Neueinsetzung des Senats mit spanischen Reitern gesichert wurde, zog die Polizei Stacheldraht um das Heiligengeistfeld und blockierte den Straßenbahnverkehr. Immer mehr Neugierige sammelten sich, begafften Postenketten und Panzerwagen. Bei Büroschluß wurde die Menge zu groß und sollte aufgelöst werden. Da fiel gegen 17 Uhr am Millerntor ein Schuß: Ein Polizeibeamter wurde getötet. Die Polizei reagierte so spontan wie brutal, feuerte rücksichtslos auf die fliehenden Menschen. Dieser Gewaltausbruch und die nachfolgende Panik forderten 15 Tote und fast 40 Verletzte.

Auch am Holstenplatz und an der Ellernholzbrücke im Hafen kam es zu Schießereien. Am Folgetag meldete das Fremdenblatt 30 Todesopfer. „Wenn Hamburg brennt, brennt die Welt!“ – dieses pseudo-revolutionäre Motto sei „offenkundiger, hirnverbrannter Wahnsinn“, meinte das Hamburger Echo. Und tatsächlich wurde der Aufstand schon im Keim erstickt: Blohm & Voss und die Vulkanwerft schlossen ihre Betriebe und entließen sämtliche Arbeiter; der Senat verhängte „infolge der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch gewissenlose Elemente“ den Ausnahmezustand.

Einzig in Geesthacht konnten kommunistische Patrouillen die Betriebe besetzen und sich eine Zeitlang der Ordnungskräfte erwehren. Doch als klar wurde, daß überall Streiks und Widerstand zusammenbrachen, tauchten auch hier die bewaffneten Revolutionäre bald unter. Das Resultat der Aktionen war eine Spaltung und Schwächung der Linken. Die KPD verlor fast die Hälfte ihrer Anhänger, und die SPD forderte die „Kopf- und Handarbeiter“, die „Arbeitsbrüder“ auf, sich nicht „verbrecherisch zu wahnsinnigen Putsch-Experimenten“ mißbrauchen zu lassen.

Am 1. April 1921 begann bei Blohm & Voss und auf der Vulkanwerft wieder die Arbeit – für jene, die am „kommunistischen Tollhäuslerstreik“ unbeteiligt geblieben waren. Die Aktivisten wurden nicht wieder eingestellt – willkommenes Mittel zur politischen Säuberung der Betriebe. Nur die KPD deutete ihre krasse Fehleinschätzung der politischen Ausgangslage und die sinnlosen Aufstandsaktionen noch lange zur Legende von den „Märzaktionen“ um.