Die Brandstifter im Kieler Landtag

■ Vor dem Wahl-Sonntag in Schleswig-Holstein: Ziehen rechtsextreme Parteien erneut in das Parlament des Bundeslandes ein, in dem Mölln und Lübeck liegen? Von Kersten Kampe

Die demokratischen Parteien im Kieler Landtag sind sich einig: Die geistigen Brandstifter der rechtsradikalen Anschläge auf ein von Türken bewohntes Haus in Mölln 1992 und auf die Lübecker Synagoge 1994 sitzen in der letzten Reihe des schleswig-holsteinischen Parlaments. Ein Schock war es am 5. April 1992, als die ersten Hochrechnungen über die Bildschirme flimmerten und die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) mit 6,3 Prozent drittstärkste Fraktion im Landtag wurde.

Zuversichtlich waren die anderen Parteien lange Zeit, daß es ihnen durch sonst so selten einmütiges Handeln gelingen werde, die Ewig-Gestrigen wieder aus dem Parlament zu verbannen. Doch neueste Umfragen lassen die Zuversicht fraglich werden. Bei knapp vier Prozent der Stimmen wird die DVU eingeschätzt. Vor vier Jahren waren ihr weit weniger vorhergesagt worden.

Doch die sechsköpfige DVU-Fraktion, deren Parlamentsarbeit im wesentlichen darin bestand, übliche Parolen im Plenum zu tönen, massenweise ausländerfeindliche und antiparlamentarische Anträge und Anfragen zu stellen sowie Arbeit in den Ausschüssen zu verweigern, hielt nicht lange. Knapp ein Jahr nach der Wahl zerstritt sich der Fraktionsvorsitzende Ingo Stawitz mit dem Partei-Chef Gerhard Frey in München. Zuviel Geld hatte der von der Fraktion verlangt, so die Kritik der ehemaligen DVU-Funktionäre.

Doch die hatten selbst vorher nicht schlecht zugelangt. Keiner der sechs Rechtsextremen, der nicht eine Fraktionsfunktion übernahm und entsprechende Zulagen kassierte. Seit Mitte 1993 ermittelt die Kieler Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts, daß DVU-Abgeordnete die vom Landtag zweckbestimmt für die laufende Arbeit gewährten Fraktionszuschüsse zweckwidrig für die allgemeine Parteiarbeit verwendet hätten. In diesem Zusammenhang wurden zum ersten Mal in der Geschichte des Landtages im vergangenen November Büros von Volksvertretern durchsucht. Derzeit wird nach Angaben der Staatsanwaltschaft das umfangreich beschlagnahmte Material ausgewertet.

Fünf Parlamentarier der DVU traten im Frühsommer 1993 aufgrund des Streites mit Frey aus der Partei aus. Nachdem die Republikaner abgewunken hatten, schlossen sich vier Ex-DVUler der rechtsextremen Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) an und konnten so erneut eine Fraktion bilden mit dem Anspruch auf entsprechende Finanzmittel. Im Sommer 1995 kehrte jedoch eins der DLVH-Mitglieder zurück zur DVU. Seitdem besteht keine rechtsextreme Fraktion mehr.

Erst im Sommer 1995 rührte sich wieder etwas auf der Parteiebene der DVU. Der per Bundesdrucksache offizielle Rechenschaftsbericht der DVU für 1993 weist nicht eine Mark für innerparteiliche Gremienarbeit und Information aus. 1995 sollen jedoch zwei Parteitage in Schleswig-Holstein stattgefunden haben, die Teilnehmer wurden konspirativ an verschiedenen Treffpunkten abgeholt, um dann in Sehestedt unter Ausschluß der Öffentlichkeit zu tagen. Ende vergangenen Jahres sollen eiligst – um wenigstens den Anschein einer Partei zu wahren – einige Kreisverbände gegründet worden sein.

Der Wahlkampf nahte, und den läßt sich der Münchner Verleger Frey dem Vernehmen nach mehrere Millionen Mark kosten. Zigtausende Plakate säumen schon seit Wochen die Straßen, mehrere Postwurfsendungen wurden in Auftrag gegeben. In roten Umschlägen, auf denen plakativ „Wichtige Wahlunterlagen“, aber kein Hinweis auf die Partei abgedruckt ist, findet sich die Propaganda der DVU.

Öffentlich und persönlich treten die Kandidaten der DVU jedoch nicht auf. Als Spitzenkandidat fungiert der in der rechten Szene bekannte Heinrich Gerlach. Laut gut informierter Kreise war er vier Jahre lang die rechte Hand von Parteichef Frey im Kieler Landeshaus. Auf Platz zwei rangiert Renate Köhler, die als einzige Abgeordnete vier Jahre treu zur DVU stand.

Die Wahlchancen der DVU lassen sich schlecht einschätzen. Die rechtsextremistische Partei hat nach Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz ebenso wie andere rechtsextreme Organisationen in den vergangenen Jahren einen Rückgang an Mitgliedern zu verzeichnen. Waren es 1992 noch über 2.000 Mitglieder, sind es nach Angaben des Verfassungsschutzes 1995 nur noch 900 gewesen. Zudem sollen viele nicht aktiv tätig sein, sondern sich nur „aus innerer Disposition heraus“ der Partei angeschlossen haben. Es entspricht sozusagen ihrem Gefühl, was Frey in seinen rechtsextremen Blättern Deutsche National-Zeitung und Deutsche Wochen-Zeitung schreiben läßt. Mit einem politischen Programm müssen sich Wähler und Mitglieder nicht beschäftigen – Rechtspopulismus und Agitation reichen der DVU, um auf der Protestschiene Stimmen zu fangen.

Das ist bei der DLVH anders. Sie gibt sich zwar als Protestpartei aus, aber wer bei der DLVH Mitglied ist oder sie wählt, bekennt sich klar zum Rechtsextremismus. Bei der Wahl erwarten Beobachter kaum einen Stimmenanteil über ein Prozent. Dennoch schätzt der oberste Verfassungsschützer des Landes die DLVH mit ihren rund 100 Mitgliedern in Schleswig-Holstein als weit gefährlicher ein als die DVU.

Denn die DLVH hat und sucht Kontakte zur gewaltbereiten rechten Szene. Bedeutung innerhalb der rechten Szene in Schleswig-Hol-stein hat die DLVH vor allem, weil einer ihrer Köpfe noch im Landtag sitzt, Ingo Stawitz. Bei der DLVH in Schleswig-Holstein finden sich nicht nur die Ex-DVU-Abgeordneten wieder, sondern auch ehemalige NPDler, denen militante Wehrsportaktivitäten ebenso nachgesagt werden wie Verbindungen zur mittlerweile verbotenen Wiking-Jugend. Nicht gelungen ist es der DLVH laut Verfassungsschutzbericht 1994, eine führende Rolle im rechtsextremistischen Spektrum einzunehmen. Dennoch wird beobachtet, daß die Rechten auch in Schleswig-Holstein enger zusammenrücken über Partei und Organisationsgrenzen hinweg.

Für Verfassungsschützer ist dies eine Antwort der Rechten darauf, daß ihnen die Mitglieder weglaufen. 1992 wurden noch über 2.700 Mitglieder in entsprechenden Organisationen registriert, im vergangenen Jahr waren es noch knapp 1.700. Anders sieht es bei den „Unorganisierten“ aus. Bei der rechtsorientierten Subkultur ist laut Verfassungsschutz ein Zulauf festzustellen. Unzufriedene Jugendliche suchen zunehmend Anschluß an Skinhead-Cliquen.

Und diese, die vor allem während der Prozesse um die Morde von Mölln und den Anschlag auf die Synagoge als gewaltbereite und rechte „Saufclubs“ dargestellt wurden, beginnen sich zu verändern. Deutlicher als noch vor einiger Zeit, werden sie politischer, übernehmen nationalistische Weltbilder und weisen eine hohe Affinität zum Neo-Nationalsozialismus aus.