Ist Bremen zu retten? Nur mit Psychologie

■ Identität und Wirtschaftskraft – Debatte über die Perspektiven der politischen Selbständigkeit des Bundeslandes Bremen Interview mit dem Fraktionsvorsitzenden der SPD in der Bremer Bürgerschaft, Christian Weber

taz: Vor einigen Wochen hat es zwei TED-Umfragen gegeben mit ganz überraschenden Ergebnissen. Repräsentativ ist sowas nicht, aber dennoch erstaunlich: Zwei Drittel derer, die reagiert haben, wollen die Selbständigkeit Bremens nicht. Sind die Politiker verunsichert durch solche Ergebnisse?

Christian Weber, SPD-Fraktionsvorsitzender: Ja. Da kann man schon verunsichert sein. Obwohl ich glaube, daß viele aus dem Bauch heraus zum Telefonhörer gegriffen haben. Vieles ist mit irrationalen Motiven begründet. Wenn ich zurückdenke, warum ich vor 20 Jahren nach Bremen gegangen bin: Bremen liegt sehr schön, Bremen hat ein gutes Image. Ich habe damals in der ,Zeit' immer die großen Anzeigen gelesen. Sowas hat viele in meinem Bekanntenkreis motiviert, nach Bremen zu gehen. Die aktuelle Negativ-Diskussion über Bremen, die schlechten Meldungen über die wirtschaftliche Situation, das alles ist nicht hilfreich.Und wenn der Weser-Kurier noch einmal sämtliche Negativ-Schlagzeilen aus der bundesdeutschen Presse abbildet, ist das auch nicht gerade konstruktiv. Die Situation ist irrational.

Die Sozialgeographen haben festgestellt, daß sich innerhalb von 17 Jahren die Hälfte der Bevölkerung ausgetauscht hat. Der Anteil der bremischen Bevölkerung, der in Bremen geboren ist, scheint sehr gering. Woher soll das Bremen-Gefühl, durch dick und dünn für dieses Bundesland zu gehen, denn kommen?

Das ist mir, als ich diese Zahlen auf der Tagung der Arbeiterkammer gehört habe, auch durch den Kopf gegangen. Durch die Universität sind sehr viele Nicht-Bremer angezogen worden...

.. und im Zuge der heute selbstverständlichen Mobilität...

Das gewachsene Bremer Urgestein nimmt ab. Als ich hierherkam, wurde mir gesagt: Du wirst nie ein Bremer, wenn Du das nicht in der dritten Generation nachweisen kannst. Das hat sich verändert. Hinzu kommt die eklatante Abwanderung.

Wenn es dieses „in der dritten Generation“ nicht mehr ist – was sollte die Bremen-Identität im Jahre 2000 prägen?

Die Bremen-Identität muß etwas mit dieser Landschaft zu tun haben, mit maritimer Wirtschaft, mit der Küste, mit Werften. Aber das sind alles Bereiche, die auf dem Prüfstand stehen, gerade Werften, Fischerei. Diese Branchen sind auf dem absteigenden Ast. Dies ist eine auslaufende Identität. Bremen braucht neue Identität. Das kann nicht nur der Roland sein oder die Stadtmusikanten...

Das ist was für die Touristen.

Die Universität müßte vielmehr für die Bremer im Vordergrund stehen. Bremen ist eine Universitätsstadt. Auch eine Stadt mit High-Tech. Die Bremen-Werbung ist da noch etwas provinziell.

Das wäre eine Marketing-Frage. Wenn Universitäten das Image einer Stadt prägen, sind das alte Uni-Städte und Philosophen, die das Image prägen. Tübingen ist nicht bekannt für seine Physik, geschweige denn für Ingenieurwissenschaften.

Sicher, aber soviel haben wir ja nicht, was identitätsstiftend sein könnte. Das ist ja gerade das Problem. Das klingt jetzt konservativ, aber für Jugendliche sind ganz andere Dinge identitätsstiftend. Die Politik und andere gesellschaftliche Gruppierungen haben es versäumt, rechtzeitig eine Diskussion darüber anzufangen, was identi-tätsstiftend sein könnte.

Wenn es nostalgische oder ideologische Aufhänger nicht gibt, ist die Frage um so wichtiger: Was ist eine funktional sinnvolle regionale Gliederung. Der Arbeitsmarkt sprengt die Grenzen, der Immobilienmarkt, die Ausstrahlung der Universität. Die Wirtschaftskraft bezieht sich auf die Region, und auch das Steueraufkommen würde nur bei einer regionalen Verteilung eine Metropole finanziell hinreichend ausstatten. Bremen in seinen Landesgrenzen ist zu klein.

Nein, das finde ich nicht. Bremen hat immer ein überdurchschnittliches Wachstum.

Aber diese Statistiken messen die Großstadt am Flächenstaaten mit viel plattem Land. Wenn man die Großstadt Bremen mit der Großstadt Stuttgart oder München vergleichen würde, oder nur Hannover, dann ist Bremen nicht überdurchschnittlich.

Das ist richtig, aber wir können uns neben vergleichbaren Städten aus dem Ruhrgebiet sehen lassen. Es ist sicherlich auch so, daß wir das, was aufgrund der Lohnsteuerzerlegung an Steueraufkommen zunächst in Niedersachsen bezahlt wird, über den Länderfinanzausgleich bis auf einen Rest von 30 Millionen zurückkommt. Aber dieses psychologische Moment bleibt doch, daß Bremen als Nehmer-Land gilt, als Bittsteller.

Warum hat Bremen nicht in den vergangenen 20, 30 Jahren den Strukturwandel, der ja auch damals als notwendig erkannt wurde, hinbekommen?

Ich glaube: Wir haben in Bremen sehr strukturkonservativ gedacht. Auch noch in den Zeiten, als sich die Rhein-Main-Schiene ausbildete. Die Politik wie die Wirtschaft. Man wollte sich nicht vorstellen, daß es sein könnte, daß Bremen nicht mehr Schiffbaustandort wäre. Zum Beispiel. Erst als Bremen schon im freien Fall war, vor 12, 13 Jahren, da wurde gegengesteuert: Flughafenausbau, Universitätsentwicklung, da ist ja auch vieles gut gemacht worden. Aber das war zu spät. Bayern hat diesen Strukturwandel in den 70er Jahren begonnen.

Wenn man sich die großen, teuren Projekte vor Augen führt, mit denen die bremische Wirtschaftsförderung den Anschluß an das untere Niveau der anderen Bundesländer gewinnen will und wieder mehr Wirtschaftskraft, dann fällt auf: Das bringt alles kaum zusätzliche Impulse. Der Tunnel sichert im besten Falle Arbeitsplätze, die Straßenbahnlinie – naja, die ist vielleicht im Jahre 2005 fertig. Und von den Uni-Investitionen hat Bremen zunächst vor allem die Kosten.

Das ist das dicke Fragezeichen, was ich hinter die beschlossenen ISP-Maßnahmen gemacht habe. Der Hemelinger Tunnel wird zu 60 Prozent für die Niedersachsen gebaut, das sagt Perschau ja auch...

... damit die schneller zur Arbeit bei Mercedes kommen?

Ja, ist doch völlig klar. Linie 4 auch...

Das bedeutet: der Bausenator macht ein Programm „Bremer bauen in Bremen“ und sorgt gleichzeitig dafür, daß man leichter ins grüne Umland ziehen kann.

Extrem gesagt, ja. Mit dem Geld, was wir ja nicht haben, sondern auf Kredit aufnehmen, müßten wir behutsamer und klüger umgehen. Es gibt ja viele Maßnahmen, die wir in den Wirtschaftsförderungs-Ausschüssen beschließen, und dann hilft es nicht, wenn man sagt: Wir haben einmal das beschlossen, und dabei bleibt es. Dieses Tabu ist gebrochen, diese Diskussion läuft.

Es gibt aber auch durchaus wichtige Maßnahmen der Wirtschaftsförderung, die mehr Wirtschaftskraft bringen werden. Was am Flughafen passiert, Großmarktgelände, die Technologiepark-Investitionen werden sicherlich mehr bringen. Die Verkehrsanbindung des GVZ, das bringt etwas. Vieles ist natürlich auch Psychologie, es muß eine Aufbruchstimmung da sein. Karl Schiller hat gesagt: die Hälfte der Wirtschaftspolitik ist Psychologie.

Die dauernden Kürzungsrunden tragen dazu nicht gerade bei, daß sich in Bremen Aufbruchstimmung verbreitet. Bei den mittleren Einkommen schlägt die Kita-Gebührenerhöhung wirklich in die Kasse. Die gucken über die Grenze nach Niedersachsen.

Beim Mindestsatz liegen die Umlandgemeinden alle höher als wir.

Aber nur beim Mindestsatz. Die Geringverdiener bleiben hier. Und die mittleren Einkommen, die mehr verdienen – und Steuern zahlen ...

Wer zwei Kinder hat, für den ist das eine Belastung, keine Frage. Aber das sind auch Familien, die ihr Ausgabeverhalten anders orientieren, konsummäßig, und dann bestimmte Leistungen vom Staat frei Haus erwarten. Das finde ich nicht gerade witzig, wenn beide Eltern arbeiten gehen, um sich einen Lebensstandard leisten zu können, und geben die Kinder dann beim Staat ab.

Eine alte sozialdemokratische Tradition, die Verantwortung für Erziehung und Bildung staatlich zu übernehmen.

Richtig, eine alte sozialdemokratische Tradition, die wir in Frage stellen müssen. Wir haben eine deutliche Erhöhung bei den Kita-Gebühren vornehmen müssen, das ist richtig, aber wir kommen nicht über den Anteil von ca. 15 Prozent, zu dem sich Kitas auch in anderen Ländern durch die Beiträge finanzieren.

Die Abwanderung ins Umland kann man so nicht verhindern.

Das Umland nimmt die Angebote dieses Oberzentrums wahr, im kulturellen Bereich, die Arbeitsplätze, aber die Leute sagen: Wir ziehen trotzdem raus. Deswegen müssen wir den Leuten auch in Bremen Wohn-Perspektiven anbieten in der Stadt. Insofern ist die Straße durch den Hollergrund völlig kontraproduktiv. Wenn ich an einem hochteuren Wohngebiet vorbei, aus dem man bisher ins Naturschutzgebiet hineingucken konnte, eine Durchgangs-Straße plane, dann macht das die Wohnungspolitik des Bausenators kaputt.

Wenn die Wirtschaftskraft Bremens 1999, oder vielleicht auch nach drei Jahren Verlängerung der Sanierungshilfe im Jahre 2003, nicht sprunghaft gestiegen ist – was dann?

Es wird schwierig werden. Wir müssen den Sprung nach vorn tun, das ist existentiell. Wir müssen noch einmal knallhart in Nachverhandlungen mit dem Bund hinein. Aber die Struktur dieses Stadtstaates, die müssen wir selbst verändern, so daß wir ein höheres Steueraufkommen erhalten und eigenständig überlebensfähig sind. Das müssen wir erreichen. Wichtig ist immer wieder: Dabei ist vieles Psychologie. Bremen muß aus den Schlagzeilen raus. Aber das hinzukriegen...

Man müßte den Konkurs des Vulkan ganz schnell abwickeln, damit es danach nur noch aufwärts gehen kann. Sonst gibt es noch zwei Jahre negative Schlagzeilen..

Nein, zwei Jahre nicht. Das wird dieses Jahr auf den Weg gebracht werden müssen. Int: K.W.