Wand und Boden
: Weil ich ein Mädchen vom Land bin

■ Kunst in Berlin jetzt: Rudolf Steiner, Marlene Dumas, Daniel Habegger

Joseph Beuys sah sich von ihm „beauftragt“. Seitdem nimmt der Kunstbetrieb Rudolf Steiner durch das Beuyssche Werk gefiltert wahr. Die Ausstellung „Wenn die Erde Mond wird, Wandtafelzeichnungen 1919–1924“ im Kunstforum der Grundkreditbank leistet dem durchaus weiter Vorschub.

Steiner, Herausgeber der naturwissenschaftlichen Schriften Goethes, später unter anderem auch Lehrer an der von Wilhelm Liebknecht gegründeteten Arbeiterbildungsschule in Berlin, ist als der Begründer der Anthroposophie berühmt. Bei seinen Vorträgen benutzte Steiner eine Schiefertafel, um darauf Begriffe, Namen, Zahlen und Schemata zu notieren. Damit die Skizzen nicht verlorengingen, bespannte man die Tafeln ab 1919 mit schwarzem Papier. 1.100 Tafelbilder, als Lehr-, nicht als Kunststücke gedacht, blieben so erhalten.

Sie sehen ziemlich Beuys-like aus, obwohl der sie nicht kannte, von ihnen also, um die Chronologie wieder zurechtzurücken, nicht inspiriert sein konnte. Aber Kosmologie bleibt Kosmologie. Und wenn Steiners Tafeln letztlich nur Kommentar sind, seine Reden begleitende „Sprachgebärden“ (Michael Bockemühl), so tragen die Farben doch Bedeutungen, das Kobaltblau, das leuchtende Gelb und die weiße Linie, die den Menschen eingrenzt. Anläßlich des Bildes „Wie die Metalle in den Weltraum verdunsten und von der Peripherie des Weltenraums zurückstrahlen: ihre Wirkung für die erste Entwicklung des Kindes“, zum vierten Vortrag des Zyklus „Mysteriengestaltungen“ erinnert man sich unwillkürlich an Beuys' „Batterie“-Motiv. Daran, daß seine Arbeiten „Konstellationen von Energien“ zur Wirkung bringen wollen.

Jenseits dessen wirken Steiners Wandtafelzeichnungen tatsächlich sehr zeitgemäß. Das macht die unbekümmerte, formal ansprechende Mixtur von Wort und Bild, welche die Ordnung der Dinge mindestens so rasant auf den Kopf stellt und die Vertrautheiten unseres Denkens verwirrt, wie andere Weltentwürfe auch. Das ist dann natürlich schon die postmoderne Interpretation.

Bis 8. 4., Mo.–So. 10–20 Uhr, Budapester Straße 35

Die Ordnung des Energetischen repräsentieren gegenwärtig die weiblichen Supermodels. Jung, schön und quicklebendig — mehr Ausstrahlung, mehr kosmische Energie gibt es anscheinend nirgendwo. Und nirgendwo ist mehr mineralische Härte als bei Nadja Auermann. An ihren eisigen Augen glaubt man sie unter den „Models“ zu erkennen, unter den hundert Tuschzeichnungen, die Marlene Dumas im Haus am Kleistpark an die Wand gepinnt hat. Andere Augen glühen auch mal orange oder rot, irgendwie hinterhältig, und die Gesichter sind allesamt ein wenig verschoben. Nicht nur die der Idiotinnen und Mongoloiden. Claudia Schiffer fällt im Feld dieser CharakterMarlene Dumas' Claudia Schiffer sowie Paloma Picasso als Elfriede JelinekAbb.: Katalog

Köpfe nicht weiter auf, sie ist weder schön noch harmlos, aber klar erkennbar als Claudia Schiffer. Und nur Elfriede Jelinek (tatsächlich handelt es sich um Paloma Picasso) beharrt auf ihrer perfekten Maske aus Schminke. Auch dafür ist sie ja berühmt.

Marlene Dumas' Repräsentationen der Repräsentation der Frau als Modell der Kunst, Model der Modeindustrie und Bild der Schönheit sind nicht zynisch gemeint. So wenig wie die Auskunft, „I paint because I am a country girl. Clever, talented big- city girls don't paint. They turn into models and models into stars.“

Zu einem Star hat sich die Südafrikanerin aber auch gemausert. Bei keinem internationalen Kunsterereignis der letzten Zeit fehlte sie. Ihre Werkschau in Berlin, die das Kunstamt Schöneberg zusammen mit dem „Realismus Studio“ der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) organisiert hat, zeigt daher auch die Biennale-Arbeit aus Venedig: „Magdalena“, das Megamodel, das die heilige Hure trifft. Aber es geht nicht nur um die Ideologie der alten Repräsentationssysteme, die Analyse von Bild und Abbild, von Sehen und Gesehenwerden. Wenn Dumas selbst meint, „Painting is my oldest subject, Fashion my newest and Beauty my youngest“, dann sagt das eher, wohin ihr Malen zielt.

Bis 21. 4., Di.–So. 12–18, Mi. 12–20 Uhr, Grunewaldstraße 6–7; die Serie „Rejects“ ist in der NGBK zu sehen, tägl. 12–18.30 Uhr, Oranienstraße 25

Ein bißchen Kosmologie, schamanistisches Weltwissen ist auch in der Baugrube von Daniel Habegger zu entdecken. Seit dem 21. März, der Tagundnachtgleiche zeigt er seine Installation in der Zwinger Galerie. „... an exploratory trench through the West Court“ bezieht sich auf ein archäologisches Grabungsfeld im Chaco Canyon in New Mexico. Aber der westliche Flügel meint mehr, die westliche Kultur, vielleicht die fundamentale Orientierung des „Go west young man“. Habegger tat das, von Berlin aus gesehen, mit einem PS1 Stipendium und lebt nun in New York.

Von dort hat er einen orangefarbenen Plastikzaun mitgebracht, mit dem man Baustellen markiert. Damit und mit rohen Holzbohlen hat er einen Aus- schachtungsgang gebaut. Gebündelte Telefonleitungen hängen entlang dem Schacht, während Schautafeln ihn als eine Art Lehrpfad kennzeichnen. Darüber hinaus zeigt ein Kompaß, daß der Gang in Ost-West-Richtung liegt. Die erste Schautafel präsentiert das Foto eines Fax-Handys, die letzte Fotos und Berichte über die Ausgrabung einer Wohn- und Kultanlage der heute völlig unbekannten Ureinwohner New Mexicos, die übrigens strikt in der Nord-Süd-Achse bauten.

1912 wurde dort erstmals gegraben, aber später stellte sich heraus, daß man mehr zerstört als wahrgenommen hatte. Eine leere Schautafel neben dem Gang verdeutlicht, daß Wissen auch Ergänzung, Revision oder einfach eine Leerstelle ist. Habeggers „trench trough the West Court“, der visuell auch das ständig umgegrabene, urbane Manhattan imaginiert, gibt dem Betrachter eine Menge sinnlich greifbarer Anhaltspunkte, sich zu orientieren, um seine eigene Ausgrabungsgeschichte wahrzunehmen.

Bis 4. 5., Di.–Fr. 14–19, Sa. 11–14 Uhr, Dresdener Straße 125 Brigitte Werneburg