Donnern im Rocksaum

IX. Festival der Urban Aboriginals, diesmal: „The British Ambience“. Das Material kehrt zurück, Brian Eno sucht weiter die Sphärenharmonie  ■ Von Harald Fricke

Bisweilen wird die Welt, die einen umgibt, sehr eng. Dann spielen bloß noch gleichförmige Apparate mit Informationen herum: Zu Hause sind es Videorecorder, Stereoanlagen und Computer, die ihr Programm empfangen; im Club geht der Internet-Anschluß auf Sendung; und auf der Bühne, im Theater oder Konzertsaal toben die Maschinen. Menschen hängen am Netz. Das ist die eine Seite von „Ambience“, ein Pflock für Medienschafe.

Die britische „Ambience“- Szene, die dieses Jahr das „Urban Aboriginals“-Programm der Freunde Guter Musik bestreitet, hat sich wieder ein bißchen von diesen Cybereien wegentwickelt. Nach der öden und jungsmäßigen Technikbegeisterung für ROM und RAM kommt das Revival des Materials, der echten handgeprüften Sounds. Längst vergessen geglaubte Sessionmodelle wie das der altlinken Noisemusiker von AMM gelten plötzlich als Vorbilder für den elektronischen Nachwuchs. Selbst E-Gitarren, verstimmte Klaviere und Frank Zappa kommen zum Einsatz.

So arbeitet etwa das Bastel-Trio Stock, Hausen und Walkman aus Manchester an ihrem HiFi-Pastiche, indem sie knisterige Schellackplatten, Easy-Listening- Ramsch oder den Grunge von Nirvana remixen; und Philip Jecks schließt alte Mono-Plattenspieler zusammen, deren konstantes Brummeln für die walisische Geigerin Sianed Jones als abstrakter Grundlagenklang dient. Ihre Einsätze sind eher zaghaft, man befühlt sich erst einmal, bevor es wummert, funkt und fiddelt.

Dabei fügt sich der Rückbezug auf experimentelle Bands wie AMM und andere Musterkollektive in den Retro-Boom auf der Insel: Die Charts sind voll mit twangelndem Gitarrenpop, die Beatles- Archive endlich offen. In der Kunst wird actionreich mit Öl gemalt oder nackt als Performance getanzt. Dazu passen Umweltschützer in den Bäumen von New- bury ebenso wie der Liga-Durchmarsch von Newcastle United. Außerhalb des Datenraumes sehen die neunziger Jahre schwer nach Working-Class-Heroes und späten Sixties aus. Selbst das sonst nicht gerade modisch eingestellte Podewil hat auf dem Cover des Programmheftes einen großkarierten Lambswool-Pullunder abgebildet.

Trotz Hang zu Pulp, Pop und Fiction geht es urban wie aboriginal nicht ohne Virtualität. Dafür hat man Brian Eno eingeladen, der auf dem Flughafen Tempelhof seinen Warteschleifensoundtrack „Music for Airports“ von 1978 als minimalistische Dauerbeschallung aus fünf bis sechs wechselnden Tönen installieren wird (sie erinnert an die tapsig-nette Alien-Verständigungsmelodie aus Steven Spielbergs „Unheimliche Begegnung der Dritten Art“).

Parallel dazu führt er heute ab 18 Uhr in der Parochialkirche seine „Generative Music“ vor, die vollständig vom Computer errechnet und mittels Soundcard abgespielt werden kann. Das dazugehörige KOAN-Programm beruht auf Annäherung: Es wählt sich seine eigenen Möglichkeiten unter 150 Schritten aus, nach denen zuvor Klangfarben, Tonhöhen, Rhythmus oder Tempo eingegeben wurden. Die Wahrscheinlichkeit, daß sich in dieser Schaltung zwei Töne wieder begegnen, ist sehr gering.

Während Brian Eno als Ambient-Pionier noch immer nach der ewigen Sphärenharmonie sucht, schlägt sich der größere Teil des Festivals mit akustischen Abfällen herum. Scanner hört Telefongespräche ab, die er dann hörspielartig vom gemeinen Verwandtenknatsch bis zur exquisiten Piercingbeschreibung mit Techno-Tracks unterlegt. Seine Spitzeltätigkeit hat dem 30 Jahre alten Londoner DJ bereits einige Prozesse wegen Datenmißbrauchs eingebracht. Doch auch das gehört zu seinem Konzept der Piraterie im öffentlichen Raum: Warum sollte der Staat allein überwachen dürfen? Er selbst sieht sich eher als „elektronischer Flaneur“. Für Hayley Newman beginnt der Lauschangriff am eigenen Körper. Sie behängt sich bei ihren täglich ins Programm eingeschobenen Kurz-Performances mit allerlei Mikrofonen, die noch den Rocksaum als ein Donnerwetter mitklingen lassen.