Das Zeugnis läßt sie hoffen

Rund 3.000 Häftlinge nehmen an einer Aus- oder Fortbildung teil. Makaber: Arbeitgeber schätzen, daß die Azubis weniger abgelenkt werden  ■ Von Falk Zielke

Freitag ist Übungstag. Auf dem Stundenplan stehen heute Eckverbindungen. Frank N. und seinen beiden Kollegen tut die Abwechslung gut. Die ganze Woche über haben die Tischlerlehrlinge einen Hängeschrank nach dem anderen gebaut. Jetzt können sie üben, wie man richtig zinkt oder schlitzt – immer unter den wachsamen Augen des Meisters.

Doch etwas ist anders in dieser Werkstatt. Der Blick durch die vergitterten Fenster fällt auf den Hof der Justizvollzugsanstalt (JVA) in Berlin-Tegel. Ihre Lehre machen die drei im Gefängnis. Die Ausbildung spielt bei der Resozialisierung Straffälliger eine zentrale Rolle. Die Mehrzahl der Inhaftierten hat kaum den Hauptschulabschluß geschafft, geschweige denn eine Lehre gemacht.

Wie das Bundesministerium für Justiz für seine letzte Statistik herausfand, hatten 1992 mehr als die Hälfte der rund 58.500 Häftlinge in den deutschen Justizvollzugsanstalten einen Arbeitsplatz. Rund 10 Prozent davon nahmen an Bildungs- oder schulischen Maßnahmen teil. Die Palette der Lehrberufe im Knast ist groß: vom Bäcker über Dachdecker, Gärtner, Kfz- Mechaniker, Maurer oder Schriftsetzer bis hin zum Textilreiniger sind fast alle handwerklichen Berufe vertreten.

Doch auch im Gefängnis gelten die gleichen Voraussetzungen wie „draußen“. So haben die Häftlinge erst nach bestandenem Schulabschluß die Möglichkeit, in Berufsfindungslehrgängen ihre eigenen Fähigkeiten zu entdecken. Aber auch die Länge der Strafe und das Alter spielen bei der Lehrstellenvergabe im Gefängnis eine Rolle. „Es hat keinen Sinn, Leute auszubilden, die eine Strafe von 20 Jahren verbüßen müssen oder schon so alt sind, daß sie nach der Entlassung keine Chance mehr haben“, erklärt Lothar Orth, Leiter der Arbeitsverwaltung der JVA Tegel.

Zwar liegt die Rückfallquote bei rund 50 Prozent, doch erhöht sich mit dem Gesellenbrief die Aussicht, nach der Haft den Einstieg in ein „normales“ Leben zu finden. Auf dem Arbeitsmarkt sind die ehemaligen Lehrlinge gut vermittelbar. Die Qualität spielt dabei eine große Rolle. „Die Lehre ist viel intensiver“, sagt Gerhard Hintz, Ausbildungsleiter der Tischlerwerkstatt in Tegel.

Da die Betriebe in den Gefängnissen nicht direkt vom freien Markt abhängig sind, können sich die Meister verstärkt der handwerklichen Ausbildung ihrer Lehrlinge widmen. Und noch etwas kommt hinzu: „Durch die fehlende Ablenkung können sich die Azubis viel besser auf ihre Prüfungen vorbereiten“, erklärt Hintz. So sind die Ergebnisse der Gesellenprüfungen vor der Industrie- und Handelskammer oder der Handwerkskammer im Durchschnitt besser als die anderer Lehrlinge.

Dennoch haben viele Häftlinge nach ihrer Entlassung Probleme, auf dem freien Markt zurechtzukommen. „Die meisten von ihnen sind dem Leistungsdruck draußen nicht gewachsen“, sagt Lothar Orth. Schulden und das soziale Umfeld hemmen oft eine Wiedereingliederung. Bei der Aussicht, das monatliche Einkommen bei seinen Gläubigern abzuliefern, bleibe mancher auf der schiefen Bahn hängen. Für das Selbstbewußtsein spielt die Ausbildung eine große Rolle. Früher jobbte Frank N. als ungelernter Kraftfahrer. Ob er nach seiner Entlassung als Tischler arbeiten wird, weiß er noch nicht. Doch ist für den 31jährigen sicher: „Es ist ein besseres Gefühl, mit einem Zeugnis in der Tasche gehen zu können.“